Montag, 13. Mai 2013

49. Winterschlaf und Muttersprache

Nach einem scheinbar endlos langen Winter erwacht hier in Stockholm endlich wieder alles zum Leben, auch mein Blog. Es ist ungewohnt nach so vielen Monaten wieder zu scheiben und ich merke, dass es mir inzwischen schwer fällt, die richtigen Worte zu finden, wenn ich auf Deutsch schreibe. Ein merkwürdiges Gefühl. Ich brauch eindeutig mehr Übung. Ein guter Grund, wieder häufiger zu schreiben. Vielleicht ist es ja gar nicht so merkwürdig, dass es mir inzwischen schwer fällt, meine eigene Sprache anzuwenden. Meine Muttersprache ist eigentlich Schwäbisch, Hochdeutsch hab ich erst in der Schule gelernt. Nun ja, jetzt gibt es erst mal in Bild. Ein Bild sagt schliesslich mehr als tausend Worte, egal in welcher Sprache.

Freitag, 24. August 2012

48. Verkehrte Welt

Vor ein paar Tagen hab ich ein kurzes aber sehr interessantes Interview gelesen, in dem eine schwedische Frau, Camilla Alexandersson, über ihr Leben erzählt. Sie ist lesbisch und hat eine seit ihrer Kindheit eine nicht-sichtbare Behinderung, Rheuma. Es gab eine Zeit, da war sie als Punkerin unterwegs und hat sich bewusst gegen gesellschaftliche Normen aufgelehnt. Das, was mich an ihrer Schilderung am meisten fasziniert und zum Nachdenken gebracht hat, war, dass es für sie viel einfacher war, sich als Lesbe zu outen als sich offen zu ihrer Behinderung zu bekennen. Selbst als Punkerin gab es gesellschaftliche Normen, gegen die sie nicht ankämpfen wollte oder konnte.

Vergleiche sind häufig problematisch und ich weiss nicht, ob es wirklich Sinn macht sich zu fragen, was am Schwersten ist. Camillas Erfahrungen lassen sich sicher nicht ohne weiteres auf alle Länder übertragen. Es gibt nach wie vor Staaten, in denen homosexuelle Handlungen strafrechtlich verfolgt werden. Und auch die Ansicht, es wäre eine Krankheit, wenn sich Frauen in Frauen und Männer in Männer verlieben, ist immer noch erstaunlich weit verbreitet. Trotzdem find ich Camillas Ausgangspunkt interessant und ich hab den Verdacht, dass es zumindest in einigen westlichen Ländern leichter sein könnte, offen zu erklären, dass man lesbisch ist als zuzugeben, behindert zu sein.

Wie schwierig es sein kann, sich offen zu seiner Behinderung zu bekennen, weiss ich aus eigener Erfahrung nur zu gut. Meine Behinderung fällt nicht besonders auf, wenn ich sitze und es passiert mir recht häufig, dass Leute etwas erstaunt schauen, wenn ich irgendwann, z.B. im Bus, aufstehe und sie sehen, dass ich behindert bin. In Schweden fangen sich die Leute ziemlich schnell wieder. Aber in Deutschland und in der Schweiz hat meine Position ziemlichen Einfluss auf das Verhalten meiner Mitmenschen. Es ist ein wenig absurd, aber die Leute behandeln mich anders wenn ich sitze als wenn ich gehe. Wenn ich sitze, dann können sie meine Behinderung vergessen, auch wenn sie wissen, dass ich eine habe. Wenn ich gehe, dann lässt sich meine Behinderung nicht ignorieren. Das gilt sogar, wenn es dieselben Gesprächspartnern sind: Solange wir sitzen kann ich mich mit Leuten völlig normal unterhalten und wenn wir dann aufstehen und ein Stück gehen, dann steht da plötzlich eine grosse Unsicherheit zwischen uns und wir fangen fast automatisch an, uns über Behinderung zu unterhalten, egal worüber wir vorher geredet haben. Als Jugendliche hat mich das richtig gestresst. Ich war immer so froh, wenn ich schon sass, bevor ich jemanden kennenlernte. Dann konnten wir uns richtig gut unterhalten, vielleicht ein wenig flirten... Wir waren gleichberechtigte Gesprächspartner, zumindest eine Weile lang. Irgendwann kam (fast) immer der Zeitpunkt, an dem ich es nicht mehr länger ausgehalten hab und auf Toilette musste und danach war der Zauber vorbei. Dann war ich entweder die Arme, die es so schwer hat, oder die Heldin, die trotz ihrer Behinderung so viel leistet oder ich war plötzlich völlig uninteressant. Ich wurde zu einer anderen Person gemacht und der abrupte Wechsel war wirklich anstrengend und tat weh. Ich hab lange gebraucht, bis ich begriffen hatte, dass das Problem nicht bei mir liegt sondern bei meinem Gegenüber. Inzwischen hab ich genügend Selbstvertrauen und kann mit solchen Situationen anders umgehen. Manchmal nervt es und manchmal kann ich verständnisvoll darüber lächeln. Aber ich sitze nicht mehr da und überleg mir, ob ich es nicht doch noch etwas länger rauszögern kann, bevor ich aufstehen muss.

Mittwoch, 15. August 2012

47. Eine erfreuliche Entdeckung

Mein Mann und ich haben vor ein paar Wochen eine wunderschoene Entdeckung gemacht: Zum ersten Mal seit wir in Stockholm wohnen (also nach über fünf Jahren!), haben wir hier im Wald reichlich Heidelbeeren, Himbeeren und Pfifferlinge gesammelt! Ich bin immer noch völlig begeistert. Stockholm ist einfach wunderbar: Ich bin zu Fuss in fünf Minuten bei der U-Bahn, in 10 Minuten beim Supermarkt und mit meinem Dreirad bin ich in 10 Minuten im Wald. Besser kann man fast nicht wohnen. Vororte haben eindeutig ihre Vorteile, auch wenn die meisten Schweden lieber zentral, d.h. mitten in der Stadt wohnen.

Inzwischen hab ich einige Stunden meines Lebens damit verbracht durch den Wald zu kriechen und Beeren zu pflücken. Die Sammeltechnik hab ich von meinem Schwiegervater gelernt, der auch Probleme mit dem Rücken hat. Die meisten Menschen stehen gebückt während sie sammeln, aber mit dieser Methode streikt bei mir nach spätestens fünf Minuten der Rücken. Es ist viel praktischer und wesentlich rückenfreundlicher, wenn man sich vor den Beeren auf den Boden setzt. Und wenn man ein Stück Isomatte dabei hat, ist es auch nicht so hart.

Ich freu mich wie ein Kind ueber unsere selbst gesammelten Schätze, die langsam unseren Gefrierschrank füllen!

Montag, 9. April 2012

46. Frohe Ostern!

Ojojoj, wie die Zeit vergeht. Jetzt ist schon wieder Frühling. Hier in Stockholm blühen inzwischen Krokusse und Osterglocken. Es ist schön zu sehen, wie alles wieder zum Leben erwacht. Selbst mein Blog erwacht aus seinem Winterschlaf. Und mein Fahrrad habe ich heute seit langem mal wieder aus dem Fahrradkeller geholt und einen kurzen Ausflug mit ihm unternommen. Es tut gut, draussen in der Natur zu sein.

Die letzten Monate waren sehr intensiv. Zeitweise befinde ich mich hart an der Grenze meiner Kapazität. Ich kämpfe mich gerade durch meine Hebräischkurse. Es ist richtig spannend, Bibeltexte im Original lesen zu können, und es erfordert unwahrscheinlich viel Energie und Zeit. Alle meine Kurse sind ja auf Schwedisch und teilweise haben wir auch englische Bücher. Drei Fremdsprachen gleichzeitig (Schwedisch, Englisch und Hebräisch) und dann von einer Fremdsprache in eine andere übersetzen, das ist eine Herausforderung. Ich hab es nicht so gern, wenn ich das Gefühl hab, dass ich diejenige bin, die am langsamsten ist und ständig ein bisschen hinterher hängt. Aber es lässt sich einfach nicht vermeiden und eigentlich ist das gar nicht so merkwürdig. Es wäre sehr viel einfacher, wenn Schwedisch meine Muttersprache wäre. Ich bin gerade dabei zu lernen, ein wenig mehr Geduld mit mir selbst zu haben. Das ist nicht immer einfach, aber es ist gut, neue Erfahrungen sammeln. Das erweitert den Horizont.

Ich habe übrigens gesehen, dass ich noch einen Leser dazu bekommen hab! Sei ganz herzlich gegrüsst, Don! Ich werd jetzt wieder öfter schreiben. Versprochen!

Montag, 5. September 2011

45. Freiheit auf drei Rädern

Ich liebe mein Dreirad!

Nein, nein, ich breche meine Magische-Momente-Serie nicht vorzeitig ab. Ich hab durchaus vor, nach und nach über einige besondere Begegnungen zu schreiben. Ich mag die Geschichten nur nicht einfach aneinanderreihen.

Aber ich will nicht abschweifen, zurück zu meinem Dreirad: Ich schaffe es nach wie vor, vielleicht 2-3 km am Stück zu fahren und dann brauch ich wirklich ne Pause. Das klingt für die meisten Menschen nicht besonderes beeindruckend, aber für mich bedeutet das Freiheit! Ich komme jetzt in Gegenden, zu denen ich vorher keinen Zugang hatte, weil es zu weit zum Gehen war und es keine öffentlichen Verkehrsmittel gab, die dorthin fuhren. Ich hab mich diesen Sommer sogar getraut, die ersten kürzeren Touren allein zu unternehmen. Es ist so schön zur Abwechslung mal etwas schneller voranzukommen oder es mit letzter Kraft gerade noch zu schaffen, eine Steigung hochzufahren oder einfach nur den Fahrtwind zu spüren, wenn ich irgendwo eine Steigung runtersausse!

Ausserdem tut es mir gut, mich etwas mehr zu bewegen. Für mich ist Radfahren ein wunderbares Mittel, um Stress abzubauen bzw. zu vermeiden. Es gibt ja die drei klassischen Reaktionen, mit denen man instinktiv auf Stress oder Bedrohung reagiert:
1. Verstecken/Erstarren und keine Reaktion zeigen, wie das Kanninchen vor der Schlange.
2. Wegrennen oder
3. die Flucht nach vorne antreten und sich den Weg freikämpfen, was im Alltag bedeutet, gereizt und aggressiv zu reagieren.

Natürlich hab ich nicht die Möglichkeit, mich jedes Mal, wenn mich etwas stresst, auf mein Fahrrad zu schwingen und mich abzureagieren. Meistens ist das auch gar nicht nötig. Es hilft oft schon, wenn ich auf die Signale achte: Wenn ich gestresst bin, fühle ich mich manchmal schon von Kleinigkeiten völlig überfordert und kann mich zum Beispiel absolut nicht für irgendetwas entscheiden. Dann weiss ich, dass ich ne Pause brauch: Kurz hinsetzen, tief durchatmen, vielleicht ne Tassen Tee trinken, und dann geht es weiter. Dasselbe gilt, wenn ich merke, dass mich alles nur noch nervt, ohne dass es dafür einen richtigen Grund gibt. Seit ich öfter mit meinem Fahrrad unterwegs bin, merke ich, dass ich viel ausgeglichener und ausserdem unternehmungslustiger bin. Die Bewegung draussen in der Natur tut einfach gut.

Mir ist übrigens aufgefallen, dass ich ziemlich viel Werbung für Dreiräder mache. Zum einen natürlich dadurch, dass ich durch die Gegend fahre und damit sichtbar bin. Aber auch durch Gespräche mit anderen Menschen. Erst kürzlich hab ich mich im Fahrradkeller mit einer Nachbarin über mein Dreirad unterhalten. Sie überlegt, ob sie sich auch eines anschaffen soll, weil es ihr immer schwerer fällt, auf einem gewöhnlichen Fahrrad die Balance zu halten. Ich glaub, die Hemmschwelle sich als Erwachsene auf ein Dreirad zu setzen, ist sehr gross. Zumindest hat es bei mir ziemlich lange gedauert, bis ich mich dazu durchringen konnte. Es ist einfacher, den Schritt zu wagen, wenn man nicht die Erste ist. Wenn es auch noch andere gibt, die mit Dreirad unterwegs sind, dann kriegt das ein gewisses Mass an Normalität. Ich hab meiner Nachbarin jedenfalls empfohlen, bei meinen freundlichen Fahrradhändler vorbeizuschauen. Zuvor hatte ich ihr angeboten, auf meinem Dreirad eine Probefahrt zu machen, was sie jedoch nach kurzem Zögern abgelehnt hat. Ich fände es toll, wenn irgendwann noch ein Dreirad in unserem Fahrradkeller stehen würde!
Ein Bekannter von mir hat sich erst kürzlich auch wieder ein Dreirad gekauft, nachdem ich ihm von meinem vorgeschwärmt hatte. Er hatte vor Jahren mal eines, als es noch als Hilfsmittel vom "Landsting" (das entspricht so ungefähr einem Kanton oder Bundesland) finanziert wurde.Aber als er in einen anderen Landsting umgezogen ist, musste er es zurückgeben. Inzwischen gelten Dreiräder nicht mehr als Hilfsmittel, das heisst, man muss sie selber bezahlen. In meinem Beitrag 28 habe ich ein wenig mehr dazu geschrieben. Es gibt leider es auch in Schweden einiges, was sich am Gesundheitssystem verbessern liesse.

Hier kommt noch ein Foto von mir auf meinem Dreirad:


Donnerstag, 1. September 2011

44. Magische Momente I

Hin und wieder geschieht es, dass ich ganz besondere Momente erlebe. Momente, die erfreulich angenehm sind und bei denen es mir dennoch schwer fällt, das Erlebte in Worte zu fassen. Ich habe vor, hier in meinem Blog einige solcher „Magischen Momente“ zu sammeln.

Die erste Begegnung, die mir zu diesem Titel einfällt, war während der Urlaubsreise, die ich zusammen mit meinem Mann vor ein paar Wochen gemacht hab:

Es gab einen Tag, an dem irgendwie nichts so funktionierte, wie wir uns das vorgestellt hatten. Zum Abschluss des Tages sind wir dann in dem kleinen Ort Junsele gelandet. Wir waren ziemlich gefrustet und unzufrieden und wussten nicht so recht, was wir mit dem restlichen Abend und mit uns selber anfangen sollten. Zuerst sassen wir etwas verloren in unserem Zimmer und haben gelesen. Manchmal beruhigt Lesen, aber dieses Mal nicht. Also haben wir uns nach draussen geschleppt und unter einen hübschen Baum gesetzt und das war schon etwas besser. An der frischen Luft zu sein tat gut, aber glücklich und zufrieden wurden wir dadurch nicht. Schliesslich haben wir uns dazu entschlossen, ein bisschen spazieren zu gehen und den Ort zu erkunden. Dabei haben wir einige nette Geschäfte entdeckt, in denen wir gerne gestöbert hätten, die aber alle geschlossen waren. Die Dorfkneipe, in denen nur Jugendliche sassen und Bier getrunken haben, sprach uns auch nicht an. Schliesslich haben wir einen kleinen Imbiss entdeckt, der Hamburger und Pommes verkauft hat und auch für Eis Reklame machte. Es sah weder einladend noch besonders gemütlich aus, und die beiden jungen nicht-schwedischen Männer sahen ungefähr genauso gefrustet aus, wie wir uns fühlten. Die eigene Laune wird selten besser, wenn man auf andere Menschen trifft, die ähnlich schlecht drauf sind. Man zieht sich in solchen Fällen meistens nur gegenseitig runter. Aber der Gedanke ein Eis zu essen, hatte unsere Stimmung deutlich verbessert und jetzt hatten wir zumindest ein Ziel: Jetzt waren wir auf der Suche nach einem Eiscafe. So etwas gab es im Ort aber leider nicht, und nach einer Weile wurde uns bewusst, dass der Imbiss vermutlich bald schliessen wird, was zur Folge hätte, dass wir am Ende ohne Eis dastehen würden. Wir wollten unseren kleinen Lichtblick nicht einfach so aufgeben und entschlossen uns deshalb, zum Imbiss zurückzugehen und uns eben in einer etwas ungemütlichen Atmosphäre ein Eis zum Mitnehmen zu kaufen. Die beiden jungen Männer waren überrascht, kurz vor Ladenschluss noch Kunden zu kriegen. Sie schienen irgendwie nicht mehr damit gerechnet zu haben. Einer der beiden, der Koch, hätte uns auch gern einen Hamburger gebraten. Aber mit unserem Wunsch nach Eis waren die beiden sichtbar überfordert. Eisverkaufen war eigentlich die Aufgabe des Chefs und der war gerade nicht da. Sie kamen richtig in Stress und wussten zuerst weder, wo die Waffeln waren noch was das Eis kosten sollte. Letzten Endes haben sie dann aber doch die Waffeln gefunden, uns etwas unbeholfen eine Portion der gewünschte Eissorte darauf gepackt und einen viel zu niedrigen Preis dafür verlangt. Wir wollten ihre Gutmütigkeit und Unerfahrenheit nicht ausnutzen und haben das Doppelte bezahlt, was eher dem Preis entsprach, den man hier in Schweden gewöhnlich für ein Eis bezahlt. Das hat die beiden Herren etwas überrascht, sie haben es aber angenommen. Wir haben dann noch ein bisschen geplaudert und erfahren, dass die beiden Türken waren. Einer von ihnen sprach richtig gut Deutsch, aber kaum Schwedisch. Zum Abschied hab ich ihnen noch auf Türkisch einen schönen Abend gewünscht und beim Rausgehen ist mir aufgefallen, dass sich unsere Situation völlig verändert hatte. Plötzlich hatten wir alle vier richtig gute Laune und die Welt war wieder in Ordnung.

Seitdem frag ich mich, was es war, das diese abrupte Veränderung verursacht hat. Es kann natürlich sein, dass es eigentlich ganz einfach ist und es ausreicht, wenn man auf freundliche Menschen trifft, die allen Widrigkeiten zum Trotz nicht ihren Frust auf einen abladen. Gestern habe ich eine Erklärung gefunden, die mir besser gefällt: Ich musste an zen-buddhistische Mönche denken, die ihre tägliche Nahrung als Almosen von ihren Mitmenschen bekommen: Einer der Gedanken, der hinter diesem Versorgungssystem steckt, ist ungefähr folgender: Beide Seiten haben ihre Bedürfnisse, sowohl die Person, die etwas entgegennimmt als auch diejenige, die etwas gibt. Durch die freiwillige Gabe werden diese beiden Bedürfnisse miteinander verbunden und am Ende bekommt jeder das, was er gerade braucht. Damit wiederum wird ein Gleichgewicht geschaffen, das sich positiv auf alle Beteiligten und auch auf ihre Umgebung auswirkt. In unserem Fall haben wir zweimal etwas ausgetauscht und dabei auch noch die Rollen getauscht: Zuerst haben mein Mann und ich unser Eis bekommen, obwohl die beiden Verkäufer sich ja auch hätten weigern können, und dann haben wir etwas gegeben, nämlich einen höheren Preis als den geforderten für das Eis bezahlt.

Jaa, ich geb zu, es klingt ein wenig esoterisch. Und ich bin mir durchaus bewusst, dass Bettelnmüssen und Almosenverteilen äusserst problematisch sein kann und häufig auf ein deutliches Machtmissverhältnis hinweist. Aber das bedeutet nicht, dass gegenseitiges Geben und Nehmen grundsätzlich schlecht ist. Für mich ist hier die Freiwilligkeit von zentraler Bedeutung. Und Freiwilligkeit setzt voraus, dass beide Seiten eine echte Wahlmöglichkeit haben und anders handeln können, wenn sie das möchten.

Montag, 22. August 2011

43. Zwischen Hoffnung und Verzweiflung

Ich hab gerade wieder an meine Reise in diesem Sommar gedacht. Ich hab im letzten Beitrag ein wenig davon berichtet. Es war schon ein sehr besonderes Erlebnis. Kurz nachdem wir wieder zu Hause waren, war das Bombenattentat in Oslo und die vielen Morde an den Jugendlichen auf der Insel Utøya. Der Gedanke daran ist für mich nach wie vor kaum auszuhalten: Dass ein einzelner Mensch seinen Mitmenschen so viel Schmerzen zufügen kann. Ich hab lange darüber nachgedacht, ob ich etwas dazu schreiben soll. Irgendwie ist unsere Reise mit den furchtbaren Ereignissen verbunden und ich kann nicht so tun, als ob das nicht so wäre. Auf der anderen Seite ist schon so viel darüber geschrieben worden und ich glaube nicht, dass ich mit tieferen Einsichten beitragen kann.

Manchmal bin ich am Verzweifeln und mag die Zeitung gar nicht aufschlagen. So viel Hass und Gewalt und Elend überall, wo auch immer man hinschaut. Und es gibt so wenig, was man dagegen tun kann. In solchen Momenten gehe ich oft raus auf meinen Balkon und suche Antworten in den Wolken. Ich weiss, dass sehr viel möglich ist, wenn jeder ein bisschen etwas dazu beiträgt, um diese Welt zu einem besseren Platz für alle Menschen zu machen. Ich weiss, dass Liebe und Solidarität die Antwort auf sehr viele Fragen ist. Und ich weigere mich einfach, die Hoffnung aufzugeben.