Sonntag, 5. Oktober 2008

17. Arbeit, Kunst und Endlosschleifen

Es hat sich in letzter Zeit viel ereignet. Das meiste ist positiv, aber bisweilen hab ich das Gefühl, dass ich auf der Stelle trete und nicht vorwärts komme. Doch die erfreulichste Nachricht vorweg: Ich habe inzwischen bezahlte Arbeit gefunden. Und das ganz ohne aktuelle schwedische Version meines Lebenslaufes. Seit zwei Wochen arbeite ich stundenweise im Independent Living Institute (übersetzt: Institut für Selbstbestimmtes Leben) in Stockholm. Für etwas bezahlt zu werden, was man gerne tut, ist schon etwas Schönes. Die Selbstbestimmt-Leben -Bewegung in Schweden wird dieses Jahr 25 Jahre alt und organisiert deshalb Ende November eine internationale Konferenz, um das Vierteljahrhundert gebührend zu würdigen. Das ist mit jeder Menge Arbeit verbunden.

Wo ich dagegen das Gefühl habe, nicht vom Fleck zu kommen, ist die Beschaffung von für mich guten Hilfsmitteln. Eigentlich weiss ich genau, was ich haben möchte. Aber das steht in Schweden nicht auf der Hilfsmittelliste. Irgendwie organisieren liessen sie sich wohl schon, aber sie werden nicht finanziert. Und bevor ich Unmengen an Energie in einen Kampf um die Finanzierung meiner Vorlieben investiere, habe ich beschlossen, erst mal auszuprobieren, was es sonst noch so gibt. Kann ja manchmal nicht schaden, den eigenen Horizont zu erweitern, dachte ich. Und jetzt bin ich irgendwie in einer Endlosschleife gelandet. Ich hab inzwischen zum 3. Mal eine Ladung mit denselben für mich völlig überdimensionierten und absolut unbrauchbaren Modellen bekommen. Das Ganze wird mir sogar bis an die Haustür geliefert, was ja eigentlich wunderbar ist. Aber jetzt habe ich ständig irgendwelche Riesenkartons in der Wohnung rumstehen. Und es dauert Wochen, bis ich die wieder abgeholt krieg. Letzte Woche dachte ich schon, ich hätte das Problem endlich gelöst: Nach diversen Telefonaten mit diversen Leuten bin ich die beiden Kartons, die sich in der Zwischenzeit angesammelt hatten, endlich losgeworden. Aber nur, um völlig unerwartet einen neuen, noch grösserer Karton vor meiner Haustür zu finden. Nun ja, auch das wird irgendwie vorübergehen.

Viel mehr Freude bereiten mir dagegen die Blogs, die meine Kolleginnen und Kollegen hier schreiben. Ich lese sie immer mit grossem Interesse und hab kürzlich die tollen Fotos von Gisep bewundert. WOW! Wirklich schön. Da dachte ich mir, ein wenig mehr Kunst kann nicht schaden und hab beschlossen, das 2. Gedicht, das ich in je meinem Leben geschrieben habe, hier zu veröffentlichen. Mein 1. Gedicht musste ich übrigens in der Schule schreiben und diese Aufgabe hat mir damals keine allzu grosse Freude bereitet. Das 2. Gedicht ist im Rahmen eines Fernkurses, den ich letztes Jahr belegt habe, entstanden, die Überschrift und die Form waren vorgegeben.


Hausmusik


Herausforderungen donnern mit kräftiger Stimme

Angst und Hoffnung

umgeben mich

spielen zärtlich miteinander


Manche Tage

und vor allem Nächte

singt die Sehnsucht

in mir. Sie ist laut, meine

kluge unerschütterliche Begleiterin.

Freitag, 12. September 2008

16. Ein ständiger Balanceakt

Es passiert mir immer wieder, dass ich ganz knapp die U-Bahn verpasse. Gerade gestern war so ein Tag, wo es gehäuft vorkam. Das ist eigentlich nicht weiter tragisch: Es passiert jedem mal und die nächste U-Bahn kommt 10 Minuten später. Manchmal ist es trotzdem ärgerlich. Vor allem dann, wenn Leute, die etwas schneller sind als ich, noch locker an mir vorbeirennen und mitkommen. Bei der Station, die bei mir um die Ecke liegt, weiss ich inzwischen genau, wann es sich lohnt, mich zu beeilen. Ich habs getestet. Wenn ich am Eingang der Station stehe und höre, dass die Bahn kommt, dann schaffe ich es gerade noch und kann hineinzuhuschen, bevor sich die Wagentür hinter mir schliesst. Bin ich ein paar Meter weiter weg, dann schliesst sich die Tür leider vor mir und die U-Bahn fährt ohne mich ab. Noch mehr beeilen geht nicht. Denn plötzlicher Stress kombiniert mit körperlicher Anstrengung hat meine Spastik nicht so gern. Das bedeutet, wenn ich mich allzu sehr beeile, krieg ich nen Krampf im Bein und dann geht gar nix mehr. Es gilt also die Balance zu halten.

Das grösste Problem, das ich beim U-Bahnfahren habe, sind die Höhenunterschiede, die es überall gibt und überwunden werden müssen. Ich kann Treppen rauf- oder runterklettern, wenn es sein muss. Es ist nur ziemlich mühsam und ersetzt für mich das Training in einem Fitnessstudio. Einmal täglich eine von mir auserwählte Treppe zu erklimmen reicht völlig. Wer geht schon mehrmals täglich ins Fitnessstudio?

Ich könnte natürlich auch mit dem Aufzug fahren. Aufzüge gibt es hier in Stockholm an jeder Station und sie funktionieren oft. Ich vermeiden sie gerne. Zum einen müsste ich meistens einen Umweg gehen, um dorthin zu gelangen und zum anderen sind sie unendlich langsam. Der Hauptgrund für meine Abneigung gegen Aufzüge ist jedoch, dass viele erbärmlich stinken und einfach widerlich sind. Langsam fahren UND stinken ist einfach zu viel. Zum Glück ist der Aufzug an der Station bei mir um die Ecke eine Ausnahme. Man darf zwar auch bei ihm nicht in Eile sein (d.h. die U-Bahn ist immer weg, wenn ich sie höre, auch wenn ich schon an der Kontrollschranke vorbei bin), aber er wird zumindest nicht als öffentliche Toilette missbraucht. Ich hoffe sehr, dass er auch weiterhin sauber bleibt!

Und dann gibt es auch noch an vielen Stationen Rolltreppen. Die nehme ich am Häufigsten, obwohl sie lebensgefährlich sein können. In Stockholm gibt es drei U-Bahnlinien, die untereinander liegen. Die Blaue ist die Tiefste und die Rolltreppen dort hinunter sind richtig lang. Zum Glück wohnen wir nicht an dieser Linie. Wenn ich Rolltreppe fahre, muss ich mich an dem schwarzen Band festhalten, um die Balance nicht zu verlieren. Aus irgendeinem Grund haben die Stufen und das Festhalteband selten dieselbe Geschwindigkeit. Das scheint eine Regel zu sein, die weltweit gilt. Ist die Rolltreppe kurz genug, dann geht es gerade noch, weil ich oben (oder unten) bin, bevor mich der Unterschied völlig aus dem Gleichgewicht bringt. Noch kritischer ist es, wenn das Band ein wenig ruckelt oder zwischendurch kurz anhält. Die optimale Strategien fürs sichere Rolltreppefahren hab ich noch nicht gefunden. Manchmal kann ich mich mit beiden Händen festhalten, manchmal setze ich mich auf die Stufen, aber ideal ist das alles nicht. Mit solchen Strategien lassen sich technische Mängel nur bedingt ausgleichen.

Manchmal überlege ich schon, ob es mit nem Auto nicht einfacher wäre. Aber das hat auch nicht nur Vorteile, und einen Parkplatz in der Innenstadt zu finden, ist eine Herausforderung, der ich mich nicht täglich stellen mag.

Dienstag, 2. September 2008

15. Anwältin mit Dreirad

Ich hatte kürzlich Besuch von zwei Freunden aus Deutschland. Einer hatte sein Handbike dabei, das ich bei der Gelegenheit auch mal ausprobieren durfte. Es hat richtig Spass gemacht und gab mir ein Gefühl von Freiheit! Da war für mich klar, dass ich auch ein Gerät brauche, womit ich meinen Radius erweitern und meine Fortbewegungsgeschwindigkeit etwas erhöhen kann. Statt Handbike denke ich aber eher an ein Fahrrad (auf Schweizerdeutsch: Velo). Mit diesem Gedanken spiele ich eigentlich schon seit Jahren. Aber zu einem Entschluss konnte ich mich bisher nicht durchringen. Es ist auch nicht so einfach. Denn ein Gefährt mit nur zwei Rädern hat so seine Tücken: Zum einen weiss ich nicht, ob ich wirklich die Balance halten kann. Und zum anderen fällt mir die Tretbewegung mit den Pedalen schwer. Ich rutsch immer mit dem Fuss ab - mal links, mal rechts. Das liesse sich zwar lösen, indem ich meine Füsse aufs Pedal schnalle, ähnlich wie es Radrennfahrer tun, aber dann krieg ich meinen Fuss nicht mehr raus, wenn ich die Balance verliere oder anhalten will. Und das Anfahren wird auch zum Problem. Eine andere Variante wäre ein Zweirad mit Stützrädern. Oder gleich ein Dreirad. Dann könnte ich die Tretbewegung üben und wenn es ohne Füssefestschnallen geht, kann ich mir immer noch überlegen, ob ich auf ein Zweirad umsteigen und das Balancieren üben möchte.

Ich glaube, ich weiss seit gestern, worum ich mir bisher kein Dreirad oder ein Zweirad mit Stützrädern angeschafft habe: Es sieht einfach behindert aus. Als politisch bewusste und aufgeklärte Krüppelfrau fällt es mir nicht leicht, das zuzugeben, aber es ist wohl so. Mit nem Dreirad gibt es kein Leugnen mehr, kein So-tun-als-ob-man-gar-nicht (oder nur ein bisschen) behindert wäre. Kinder und „Schwer-“behinderte sind mit nem Dreirad oder mit Stützrädern unterwegs. Da wird es von der Umgebung auch problemlos akzeptiert. Aber ich? Als ausgebildete Juristin? Der Gedanke, ich würde im Anzug mit nem Dreirad zu ner Gerichtsverhandlung fahren, während die Kolleginnen und Kollegen und womöglich die eigene Mandantin aus nem Luxusauto aussteigen, löst bei mir schon einiges an Unbehagen aus. Und gleichzeitig: Wenn ich mir eine andere Person und nicht mich selber auf dem Sattel vorstellen würde, fände ich es total klasse. Es ist ein wenig schräg und hat was. Es demonstriert eine Menge Individualität und Selbstbewusstsein.

Ach ja, eigentlich ist das hier ja ein uraltes Problem, das mich schon mein ganzes Leben lang verfolgt, immer wieder in neuen Variationen. Ich bin nicht eingeschränkt genug, und eine Sonderlösung ist nicht automatisch die einzig mögliche Lösung. Stattdessen sieht es oft so aus als ob das scheinbar Normale und vor allem Unauffälligere in greifbarer Nähe wäre. Wenn ich mich nur ein bisschen mehr anstrenge, ein bisschen mehr übe, dann wird es schon gehen. Ich habe es so satt und dachte wirklich, ich hätte diese Phase inzwischen hinter mir! Aber anscheinend muss ich mich immer noch hin und wieder selber quälen und überfordern, anstatt einfach von Anfang an zu schauen, was für mich am Besten ist. Zwei Räder sind weniger als drei, warum sollte das besser sein?

Nachdem ich endlich den Knoten gelöst und das eigentliche Problem erkannt habe, kann ich mich tatsächlich auf die Suche nach nem geeigneten Fortbewegungsmittel machen. Schon aus purem Trotz werde ich mir ein Dreirad oder ein Zweirad mit Stützrädern zulegen und damit durch die Gegend fahren! Über Tipps und Empfehlungen diesbezüglich wäre ich übrigens sehr dankbar!

Dienstag, 19. August 2008

14. Ich bin wieder zurück

Hier sitze ich also, wie so oft mit einer Tasse Kräutertee vor dem Computer und versuche, meine Gedanken zu ordnen. Die letzten Wochen waren ziemlich ereignisreich und zum Teil auch anstrengend. Nicht alles davon eignet sich für einen Blogbeitrag.

Einigen Menschen, die mir sehr nahe stehen, geht es gesundheitlich nicht besonders gut. Das hat bei mir ausgelöst, dass ich mich intensiv mit Fragen zu Schwäche, Verlust und Trauer auseinandersetze. Eine Frage, die mich sehr beschäftigt, ist beispielsweise: Wie verarbeitet man den Verlust von Fähigkeiten und schafft es, sich mit der neuen Situation anzufreunden? Was würde ich tun? Meine Behinderungen sind weitgehend stabil. Das hat durchaus Vorteile, aber es bedeutet auch, dass ich, wenn es um solch lebenswichtige Fragen geht, keinerlei Erfahrung und damit kein Fachwissen habe. Entsprechend fällt meine spontane Reaktion aus: Verdrängen. Nach dem Motto: „Es ist wie es ist, mach das Beste daraus. Jammern bringt Dich auch nicht weiter.“ Das Problem dabei ist, dass sich die Realität nicht verdrängen lässt und es den betroffenen Personen nicht weiterhilft. Trauer um die verlorengegangenen Fähigkeiten und Möglichkeiten, Angst vor weiterer Veränderung und vieles mehr müssen verarbeitet werden. Das kann schmerzhaft sein, aber ich glaube zu ahnen, dass dieser Prozess auch etwas sehr Befreiendes hat.

Und dennoch geht das Leben weiter und es gibt auch anderes, das Platz in meinem Leben braucht. So ist es jetzt an der Zeit, dass ich mich nach bezahlter Arbeit umsehe und anfange, Bewerbungen zu schreiben. Für diese Woche habe ich mir daher das Ziel gesetzt, meinen Lebenslauf zu schreiben, auf Schwedisch versteht sich. Und bei dieser Gelegenheit kann ich auch gleich mal nachforschen, wie ganz allgemein Bewerbungen in Schweden geschrieben werden: Was muss unbedingt rein? Was sollte auf keinen Fall erwähnt werden?... Jedes Land hat so seine Besonderheiten und es kann hilfreich sein, diese zu kennen, bevor man sich an die Arbeit macht. Vielleicht lässt sich damit ja die eine oder andere Absage vermeiden. Und nach diesen Vorarbeiten geht es dann richtig zur Sache. Zum Teil graust es mir davor und zum Teil bin ich sehr gespannt und neugierig, was ich dabei entdecken werde. Darüber werde ich sicher bald einiges zu erzählen haben.

Montag, 7. Juli 2008

13. Prüfungen und Steine

Zunächst einmal vorweg: Ich habe meine Prüfung bestanden.

Eigentlich waren es sogar zwei: Zum einen die in dem Übersichtskurs über das schwedische Rechtssystem. Die lag mir sehr am Herzen. Sie war so etwas wie der Härtetest für mein Schwedisch. Denn juristische Fälle in einer anderen Sprache zu lösen, ist gar nicht so einfach. Ich bin froh, dass ich es geschafft habe! Damit konnte ich einen grossen Stein, den ich einige Zeit mit mir rumgeschleppt habe, endlich loswerden.

Und dann kam ich vor einigen Monaten, warum auch immer, auf die Idee, parallel dazu einen Kurs an derselben Uni über die „Grundzüge des Marketing“ zu belegen. Ich glaub, ich wollte einfach mal einen Einblick in diese mir völlig fremde Welt bekommen. Erstaunlicherweise und völlig unverdient habe ich den Kurs bestanden, wenn auch nur mit Haaresbreite. Mein innerer Widerstand gegen die Weltanschauung, die dort vermittelt wurde, war enorm und ich wollte nicht allzu tief darin versinken. Und gleichzeitig hat es mich fasziniert. Ein ähnliches Gefühl hatte ich früher, als ich Horrorgeschichten gelesen habe, die mich dann bis in meine Träume verfolgten. Ganz so schlimm war es dieses Mal nicht. Die Figuren sind ein wenig anders, aber vieles ist doch gleich geblieben. Statt nachtaktiver Vampire, die das Leben aus Menschen saugen und sie damit zu einem der ihren machen, sind es jetzt skrupellose Menschen mit zu viel Macht und Sätzen wie „Wahrnehmungsbedürfnisse der Kunden befriedigen“, vor denen es mir graust. Aber auch das ist erstmal vorüber.

Bis zu meinem nächsten Beitrag wird es wieder ein wenig dauern. Denn im Moment ist gerade Ferienzeit und ich werde viel unterwegs sein und wohl keine Zeit/Ruhe/Muse zum Schreiben finden.

Dienstag, 27. Mai 2008

12. Vorurteile und Wassermonster

Ich glaub, ich hab meine Schreibblockade fürs erste überwunden, auch wenn mir die Prüfung noch bevorsteht.

Übrigens, was ich schon länger sagen wollte: Der Fenchel, den ich in meinem 9. Beitrag erwähnt habe, war wider Erwarten richtig gut. Ich hab ihn in ein wenig Zitronensaft, Koriandersamen und frischen Tomaten gekocht und war angenehm vom Ergebnis überrascht. So leicht kann es manchmal sein. Einfach ausprobieren und schon hat man ein Vorurteil weniger!

Es haben sich in meinem Leben auch noch andere Kleinigkeiten ereignet. Am Wochenende zum Beispiel hat die staatliche Liegenschaftsverwaltung einen grossen Aktionstag organisiert und es war möglich, einige Gebäude zu besichtigen, die normalerweise nicht für die Allgemeinheit zugänglich sind. Ausser meinem Mann und mir waren noch viele andere Leute unterwegs, um dieses seltene Angebot zu nutzen. Mein Mann und ich wollten zwei Sachen anschauen:

Da war zum einen der Barockgarten des Tessiner Palastes, der der Familie Tessin gehörte. Das ist ein sehr raffiniert gestalteter Innenhof eines Stadtpalastes, der gross und geräumig wirkt, obwohl er eigentlich ziemlich klein ist. Obwohl ich den Barockstil eigentlich nicht so gern hab, war ich beeindruckt. Auch aus wenig lässt sich sehr viel machen, wenn man es nur geschickt genug anstellt.

Unser anderer Programmpunkt war die Skeppsholmkirche, eine sehr spezielle ehemalige Kirche auf einer Insel, die 1842 eingeweiht und 2002 wieder entweiht wurde. Sie soll jetzt weltlichen Zwecken dienen und zum Kulturhaus, Konferenzsaal o.ä. umfunktioniert werden. Ich hab ungewöhnliche, schräge und bisweilen scheinbar unpassende Dinge gern, und die ehemalige Kirche hatte gleich zwei Dinge zu bieten, die ich in diese Kategorie stecken würde: Einen Kampfengel und ein paar Wassermonster.
Der Kampfengel steht über der Orgel. Es ist eine weibliche Engelsfigur, die in Siegespose die rechte Faust in die Luft streckt. (Warum wird DER Engel eigentlich fast immer mit einer weiblichen Figur dargestellt? Oder als nackter kleiner Junge?) Den Kampfengel fand ich gerade in meiner Situation sehr passend. Denn kurz davor hatte ich eine ziemlich waghalsige Klettertour zu einem Boot überstanden, ohne dabei ins Wasser zu fallen. Fast noch mehr als der Engel haben mich die Wassermonster fasziniert. Sie sehen aus wie bösartige zähnefletschende Riesenfische und befinden sich direkt unter der Kanzel, sind sozusagen deren Füsse. Wenn der Pfarrer also eine Predigt hielt, dann stand er mitten unter den Wassermonstern. Bisher habe ich solche Figuren vor allem am Eingang von Tempeln gesehen. Ich hätte wirklich gerne die Person kennengelernt, die es geschafft hat, einem Pfarrer ein Plätzchen bei den Wassermonstern anzudrehen! Das muss ein sehr interessanter und besonderer Mensch gewesen sein. Von ihm hätte ich bestimmt einiges lernen können.

Freitag, 23. Mai 2008

11. Kompromisse, Doping und Tatendrang

Das Leben steckt voller Kompromisse. Da dachte ich doch, ich hätte das ideale „Doping“mittel für mich gefunden: Eisen.

Ich hatte schon immer einen leichten Eisenmangel, auch als Kind, und hab immer mal wieder Eisenpräparate einnehmen müssen, die scheusslich geschmeckt haben. Letzte Woche kam ich spontan auf die Idee, mir zur Abwechslung mal einen dieser besonders „gesunden“ Säfte mit viel Eisen zu kaufen. Es hat, wie üblich, abscheulich geschmeckt, aber wahre Wunder gewirkt! So aktiv und munter war ich schon lange nicht mehr. Tja, schön wärs gewesen! Ein paar Tage später bin ich in dem Buch, das ich gerade lese („Survival of the sickest“ von Sharon Moalem, was man ungefähr mit „Der Kränkste überlebt“ übersetzen könnte), auf die Theorie gestossen, dass es möglich sein könnte, dass ein Eisenmangel vor Infektionen schützt. Denn Eisen ist nicht nur für uns Menschen lebenswichtig, sondern auch für die meisten Bakterien und Viren. Was bedeuten würde: Wenig Eisen = weniger und schwächere Bakterien/Viren. Ob´s stimmt, weiss ich nicht. Das kann ich auch nicht beurteilen. Der Autor ist zumindest unter seinen wissenschaftlichen Kolleginnen und Kollegen sehr umstritten.

Mir kam allerdings sofort der Gedanke: Vielleicht ist es ja ein Wink des Schicksals, wenn ich nach knapp einer Woche Eisensaft auf eine solche Theorie stosse. Ich geb´s ja zu, manchmal bin ich ein klein wenig abergläubisch. Tatsache ist jedoch, dass ich wegen meiner Spina Bifida (angeborene Querschnittslähmung) leicht zu Infektionen neige, vor allem zu Blasenentzündungen. Sicherheitshalber hab ich mein neuentdecktes „Wundermittel“ sofort wieder abgesetzt. Wenn ich zwischen erhöhter Infektionsanfälligkeit und leichtem Erschöpftsein wählen muss, dann fällt mir die Entscheidung nicht schwer. Die Vermeidung von Infektionen hat bei mir immer höchste Priorität. Denn Blasenentzündungen etc. hatte ich in meinem Leben schon viel zu viele und auf Dauer ist das nicht gesund. Und während einer Antibiotikabehandlung sprühe ich auch nicht gerade vor Lebenskraft und Tatendrang, sondern bin ziemlich ausser Gefecht gesetzt.

Ich werde wohl bei nächster Gelegenheit mit meinem Hausarzt darüber reden. Mal sehen, was er zu der ganzen Problematik sagt. Ausserdem sollte man ja sowieso niemals eine Selbsttherapie ohne ärztliche Rücksprache vornehmen! Wer weiss, was da alles passieren kann.

Donnerstag, 15. Mai 2008

10. Ein kurzer Gruss aus der Versenkung

Mein letzter Beitrag liegt schon einige Zeit zurück. Viel zu lange, leider. In ein paar Wochen ist die Abschlussprüfung für meinen schwedischen Jurakurs und das stresst und blockiert mich ziemlich. Vermutlich mehr als ich mir selber eingestehen möchte. Dabei gibt es so viele Dinge, über die ich gerne schreiben würde. Fast jeden Tag kommt mir ein neuer Gedanke, aber sobald ich mich an den Computer setze und versuche, ein paar Zeilen zu produzieren, fühle ich mich leer und ideenlos. Völlig verständnislos schaue ich dann auf meine Liste mit den unterschiedlichsten Themen und frage mich halb-verzweifelt, was ich mir seinerzeit bloss dabei gedacht habe, als ich diesen oder jenen Punkt aufgeschrieben hab. Und neue Gedanken wollen sich zur Zeit auch nicht entfalten, sondern sacken bereits bei sanfter Berührung schlicht leblos in sich zusammen und hinterlassen höchstens ein kleines graues Häufchen Staub. Aber es wird auch wieder anders und ich merke, dass sich schon durch das Schreiben dieser Zeilen einiges löst. Ich bitte einfach um ein wenig Geduld.

Dienstag, 15. April 2008

9. Geschenke, Tütenschleppen und eine wichtige Erkenntnis

Heute habe ich wieder eine Kiste mit Bio-Obst und -Gemüse in Empfang genommen, die direkt an unsere Haustür geliefert wird. Ich freu mich jedes Mal wie ein kleines Kind darüber. Es ist fasst so, als ob mir jede Woche ein freundlicher junger Mann ein Geschenk vorbei bringt, obwohl wir für den Service natürlich bezahlen. Wir haben lange überlegt, ob wir das Angebot nutzen wollen und waren zuerst sehr skeptisch. Denn man kann es sich leider nicht selber aussuchen, was in die Kiste kommt. Es gibt das, was eben gerade zu haben ist, heute zum Beispiel Fenchel (und Avokados, Tomaten Bananen ...) und bei dem mach ich nicht unbedingt einen freudigen Luftsprung (auch wenn ich es könnte). Aber nun, es ist bestimmt gesund. Das ganze hat übrigens den angenehmen Nebeneffekt, dass wir uns inzwischen sehr viel abwechslungsreicher ernähren und mehr kochen. Schliesslich muss das Zeug ja weg, bevor es schlecht wird.

Ausserdem ist damit auch das Einkaufen für mich sehr viel einfacher geworden. Da ich die meiste Zeit zu Hause mit Lernen verbringe, bin ich sehr viel flexibler in meiner Zeiteinteilung als mein Mann. Und da ich darüber hinaus ich ein glücklicheres Händchen bei der Auswahl von Obst und Gemüse habe (oder die bessere Nase oder was auch immer) gehe ich häufiger einkaufen als er. Das geht auch ziemlich gut, seitdem ich mein flottes Einkaufswägelchen habe, wo ich alles reinpacken kann, um es dann in aller Ruhe nach Hause zu zerren. Keine Ahnung, wie diese praktischen Dinger offiziell heissen, aber sie werden vorzugsweise von älteren Damen verwendet und haben häufig Karomuster. Meines ist übrigens rot-kariert und ich habe es von meiner Tante geerbt. Obwohl ich es wirklich schätze, hätte ich es mir NIEMALS selber gekauft. Warum? Tja, ehrlich gesagt, weiss ich es nicht. Vermutlich weil ich es so sehr mit älteren Damen verbinde. Völliger Unsinn, eigentlich. Auch wenn es nicht so viele Menschen in meiner Altersgruppe gibt, die mit Hilfsmitteln zum Einkaufen gehen und sondern lieber Tüten schleppen, bedeutet das ja nicht, dass ich das auch so machen muss. Aber der Mensch ist halt ein Herdentier - bloss nicht auffallen oder aus der Reihe tanzen. Wie wenn ich mit meiner Gehbehinderung nicht auffallen würde! Wenn ich also ohnehin auffalle, dann ist der Grund dafür ja egal. Eine ziemlich wichtige und zugleich sehr banale Erkenntnis und es hat Jahre gedauert, bis sie zu mir durchgedrungen ist. In der Zeit vor dem Wägelchen stand ich häufig vor Entscheidungen wie: „Nehm ich noch ne Milch mit oder lieber Saft? Oder schaffe ich es, beides nach Hause zu schleppen, ohne anschliessend Rückenschmerzen zu haben?“ Die Antwort war dann meistens „Stell Dich nicht so an, das wird schon gehen. Es ist ja nicht so weit“. Und dann gab es Milch und Saft und Rückenschmerzen.

Wie schön, dass diese Zeiten vorbei sind und ich niemandem mehr beweisen muss, dass ich auch Einkaufstüten schleppen kann!

Mittwoch, 9. April 2008

8. Miss Landmine

In Angola wurde vor kurzem die „Miss Landmine“ gewählt. Die glückliche Gewinnerin soll eine massangefertigte Prothese bekommen. Die anderen, „weniger Hübschen“, gehen leider leer aus.

Nein, das ist kein schlechter Scherz, auch wenn es erst mal danach klingt! Das ganze steht unter dem Motto „Alle haben das Recht, schön zu sein“ („Everybody has the right to be beautiful“).

Gibt es tatsächlich ein Recht auf Schönheit? Ich dachte immer, Schönheit läge im Auge des Betrachters.

Wie auch immer. Finanziell unterstützt wird die Aktion vom Norwegischen Kulturrad mit immerhin 500.000 Norwegischen Kronen (ungefähr 100.000 Franken), die Siegesprämie wird von einem norwegischen Hilfsmittelhersteller gestiftet, und initiiert wurde das alles von Morten Traavik, einem männlichen, weissen, unbehinderten norwegischen Künstler. Der Künstler möchte mit dem Wettbewerb auf die Konsequenzen, die der Einsatz von Landminen nach sich ziehen, aufmerksam machen und gleichzeitig den Frauen zu mehr Stolz und Selbstbewusstsein verhelfen. Ob sich diejenigen Frauen, die nicht sehr viele Stimmen bekommen haben, durch diesen Wettbewerb wirklich gestärkt fühlen, wage ich mal zu bezweifeln.

Eine Internetseite, wo man sich die Kandidatinnen anschauen kann, gibt es (natürlich) auch, allerding nur in Englisch. Einfach mal bei einer Suchmaschine die beiden Begriffe „Miss Landmine“ und „Angola“ eingeben. Tut mir leid, dass ich es so umständlich mache, aber irgendwie mag ich dazu keinen direkten Link von hier aus herstellen. Denn ich hab mit der ganzen Sache Schwierigkeiten und je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr wächst mein Widerwille.

Eigentlich finde ich alle Schönheitswettbewerbe daneben, sei es nun die Wahl der „Miss Universum“ oder die der rollstuhlfahrenden „Beauty in motion“. Aber mit einem Kunstprojekt, das von einem weissen unbehinderten Mann aus Europa organisiert wird, um scharze behinderte Frauen in Afrika auszustellen, habe ich besondere Mühe. Es wäre vermutlich ein wenig anders, wenn es die Frauen selber organisiert hätten, um auf sich und ihre Situation aufmerksam zu machen. Aber wohl nur ein wenig. Denn es gibt bessere Ideen als einen Schönheitswettbewerb zu organisieren, um auf das Problem mit Landminen und die schwierige Lebenssituation der Überlebenden aufmerksam zu machen.

Und wo bleiben die Männer, die von einer Mine verletzt wurden? Sind die nicht schön? Beschränkt sich das „Recht auf Schönheit“ nur auf Frauen?

Dienstag, 1. April 2008

7. Über Pränataldiagnostik und Auch-Menschen

Manchmal glaube ich, ich bin einfach zu langsam für diese Welt. Ab und zu habe ich das Gefühl, dass alles an mir vorbei rauscht. Und sollte ich mich mal für das eine oder andere Thema interessieren, dann bin ich oft zu spät dran, habe irgendwie den Zug verpasst. Eine gute Gelegenheit ist vorbei und ich komme mir vor, als wollte ich die Reste von vorgestern nochmal aufwärmen.

Dieses Mal habe ich zu spät mitbekommen, dass am 21. März der Welt-Down-Syndrom-Tag war. Nun ja, der Tag wurde erst 2006 ins Leben gerufen, hatte also noch keine Zeit, sich fest in meinem Bewusstsein oder dem anderer Weltbürgerinnen und -bürger zu verankern. Und eigentlich bin ich ohnehin keine allzu begeisterte Anhängerin von solchen Gedenktagen. Aber ich habe vor einiger Zeit einen Artikel in einer schwedischen Tageszeitung gelesen, der wirklich gut gepasst hätte. Vielleicht sogar besser, als irgendwelche herzigen, „integrativ“ gestalteten Gedichtvorträge oder ähnliche Veranstaltungen, die bei solchen Anlässen gerne aufgeboten werden. Nebenbei gesagt wurde ich mal darauf hingewiesen, dass die korrekte Bezeichnung der Behinderung „Trisomie 21“ laute. Der Begriff Down-Syndrom solle tunlichst vermieden werden, da der Herr Langdon Down, nach dem die Behinderung benannt wurde, die Behinderung mit Worten wie „mongoloide Idiotie“ beschrieben hat. Zu seiner Zeit waren das zwar sehr gebräuchlichen Vokabeln, aber mit der entsprechenden Begriffswahl könnte man schon signalisieren, dass man dieses Zeitalter inzwischen hinter sich gelassen hat. Der Begriff „Trisomie 21“ ist halt mit 7 Silben ein wenig lang und nicht wirklich griffig.


Wie auch immer, bevor ich jetzt auf den nächsten Welt- Down-Syndrom-Tag (Welt-Trisomie21-Tag?) warte, schreibe ich lieber trotzdem über den besagten Artikel. Gedenktage bedeuten ja gerade nicht, dass man sich nur und ausschliesslich dann mit einem bestimmten Thema befassen darf.

Der Artikel handelt von Pränataldiagnostik, genauer gesagt von der Fragwürdigkeit spezieller Tests, mit denen Embryonen auf unerwünschte genetische Merkmale, wie zum Beispiel das Down Syndrom, untersucht werden. Anlass der Veröffentlichung war die Debatte um das flächendeckende Angebot eines Kombinationstests für alle schwangeren Frauen im Gebiet Stockholms, um die für das Down Syndrom charakteristische Chromosomveränderung leichter und umfassender entdecken zu können. Verfasser des am 28.11.2007 in Schwedisch im Svenska Dagbladet erschienenen Artikels ist Svante Linusson, Professor in Mathematik und stolzer Vater einer Tochter mit Down Syndrom. Der Autor stellt die scheinbare Selbstverständlichkeit solcher Tests massiv in Frage. Das beginnt bereits mit der Überschrift, die in etwa mit „Neofaschismus betreffend Down Syndrom“ übersetzt werden könnte. Deutliche Worte, über deren Angemessenheit man durchaus streiten kann. Gleich nach der Überschrift geht es weiter mit dem Satz „Eines der Steckenpferde der „Landstingsrätin“ (in etwa: Kantonsrätin) Birgitta Rydberg ist es, unerwünschte Menschen bereits im Embryonalstadium auszusortieren“. Anschliessend zieht der Verfasser eine Parallele zu der Massenabtreibung von Mädchen in China, wo ein anderes genetisches Merkmal unerwünscht ist und eine für uns nicht nachvollziehbare systematische Abtreibung der entsprechenden Kindern nach sich zieht.

Hauptkritikpunkt des Autors ist, dass zwar allen schwangeren Frauen ein Test zur Erkennung des Down Syndroms angeboten werden soll, dass aber kaum Informationen mitgeliefert werden, was das denn eigentlich bedeutet, ein Leben mit Down Syndrom. Deshalb erwähnt er ausdrücklich, dass es heutzutage Trainingsmöglichkeiten gibt und die meisten Leute mit Down Syndrom mit ein wenig Hilfe Arbeit und eine eigene Wohnung haben können. Etwas weiter im Text erinnert er dann an die dunkle Geschichte des Faschismus in Europa, wo unerwünschte Personen aussortiert wurden und stellt anschliessend die Frage, zu welcher Gesellschaft so etwas führen wird. In einem kleinen Seitenhieb auf zentrale Befürworter des Tests weist er darauf hin, dass eine Gesellschaft, die ausschliesslich aus Chefärzten und Landstingsräten bestünde, nicht besonders gut funktionieren würde.

Eher nebenbei wird im Artikel erwähnt, dass im Gebiet Stockholms jährlich ca. 20 Kinder mit Down Syndrom geboren werden. Mit Hilfe des neuen Tests soll die Anzahl derartiger Kinder halbiert werden. Die Kosten des Tests belaufen sich auf jährlich ca. 20 Mio. schwedische Kronen (ungefähr 3,3 Mio. Franken). Das bedeutet, dass man sich die Verhinderung jedes Kindes mit Down Syndrom 2 Mio. Kronen (ca. 333.000 Franken) kosten lässt. Das veranlasst den Autor zu der Frage, ob es wirklich nichts Sinnvolleres gibt, was man mit dem Geld anfangen könnte.

Abschliessend berichtet Professor Linusson kurz, dass Psychologen bei seiner 12 Monate alten Tochter Ylva einen Entwicklungsrückstand von ca. drei Monaten festgestellt haben, und endet mit dem Satz „Aber auch ein neunmonatiges Baby ist doch einfach etwas Wundervolles!“


Der Ethikrat hat übrigens, was nicht im obigen Artikel erwähnt wurde, die Einführung des Tests als problematisch beurteilt. Zentral war hierfür die Überlegung, wie sich ein solcher allgemeiner Test auf das Leben derjenigen Menschen auswirkt, die mit Down Syndrom leben. Ein spezieller Test, der genau ein solches Leben wie das ihre verhindern soll. Auf diese Art wird den betroffenen Männern und Frauen deutlich vermittelt, dass ihr Leben vom Rest der Gesellschaft unerwünscht ist und als minderwertig angesehen wird.


Der Artikel von Svante Linusson ist zwar stellenweise etwas aggressiv geschrieben, aber ich empfinde ihn als äusserst wohltuend. Vor allem, weil er nicht auf der defensive Rechtfertigungsschiene ala „Behinderte sind auch Menschen, die ein Recht auf Leben haben“ fährt. Bei dieser ach so wohlgemeinten Argumentation kommt mir nämlich schlicht das Grausen. Warum?

1. Ich bin kein Auch-Mensch sondern eine Frau.

2. Wandeln wir den Satz einfach mal ein wenig ab und stellen uns eine Frau vor, die sagt: „Männer sind auch Menschen, die ein Recht auf Leben haben“. Klingt irgendwie nicht gut, überhaupt nicht gut. Es erweckt den Eindruck einer männerhassenden Radikalfeministin. Warum, bitte schön, hat der Satz einen so unterschiedlichen Klang, je nachdem auf welche Personen er angewendet wird?? Ja, ich weiss, es hat mit Hierarchie und Machtstrukturen zu tun. Aber warum in alles um der Welt wird diese Argumentationslinie so gerne von (scheinbaren?) Behindertenverbündeten benutzt??

Freitag, 21. März 2008

6. Neujahrsvorsätze

Hin und wieder kann es hilfreich sein, eine Bestandsaufnahme zu machen und sich zu überlegen, wo im Leben man gerade steht. Und da zur Zeit Nouruz, das persische Neujahrsfest, gefeiert wird, dachte ich mir, dass das ein guter Anlass ist, darüber nachzudenken, was aus all den Dingen geworden ist, die ich mir vor langer, langer Zeit in der Nacht zum 1. Januar vorgenommen habe. In dieser für mich wichtigen Neujahrsnacht habe ich mir „weiche“ Ziele gesetzt, also solche, die kein fest definiertes Ergebnis haben. Auf die kann man hinarbeiten und das erhöht die Erfolgsquote beträchtlich. Was war es also, was ich an meinem Leben ändern wollte? Drei Punkte insgesamt.


  1. Ich wollte mich mehr um meinen Körper kümmern

    Wie so manch anderen Personen, die eine oder mehrere Behinderungen besitzen, fällt es mir manchmal schwer, liebevoll mit meinem Körper umzugehen. Eigentlich ist es nicht so erstaunlich. Mein Körper wird von anderen, vor allem von Menschen ohne Behinderung, nicht unbedingt als schön angesehen und diese negative Einstellung habe ich ein Stück weit verinnerlicht, mit der Folge, dass ich manchmal auch daran glaube. Ausserdem setzt mir mein Körper hin und wieder Grenzen, die ich nur ungern akzeptiere und bisweilen bereitet er mir auch Schmerzen. Aber trotzdem ist mein Körper ein wichtiger untrennbarer Teil von mir, der mir auch viel Freude schenkt und einfach ein wenig mehr Aufmerksamkeit und Fürsorge verdient hat. Mit zu meinem neuen Programm gehören Gymnastik und der Verlust einiger Kilos. Ob eine Diät wirklich unter diesem Punkt passt oder nicht besser ein separater Punkt sein sollte, weiss ich nicht. Man könnte „Diät“ auch unter das Stichwort „sich selber quälen“ sortieren. Aber letztlich ist es egal. Ich hab jedenfalls festgestellt, dass ich jedes Jahr ein wenig mehr wiege und es zunehmend mühsamer wird, das Gewicht mit mir rumzuschleppen und deshalb beschlossen, dass ich an dieser Situation etwas ändern möchte.

    Was jetzt aus all dem geworden ist? Es tut sich was. Ich gehe inzwischen wieder regelmässig einmal wöchentlich zur Krankengymnastik und mache (fast) jeden Tag zu Hause ein bisschen Gymnastik und ein paar vorsichtige Dehnungsübungen Das hat zur Folge, dass meine Spastik etwas weniger geworden ist, ich also nicht mehr so verkrampft bin, und meine Rückenschmerzen fast weg sind. Und drei Kilo habe ich auch schon abgenommen. Der Gewichtsverlust klingt vielleicht nicht allzu beeindruckend, aber dafür hält sich auch die Selbstquälerei in Grenzen. Und wie hat doch Håkan Lindquist, ein schwedischer Schwulenaktivist und erklärter Nicht-Heterosexueller, mal so schön gesagt: „Auch ein kleiner Schritt bringt Dich zu einem neuen Ausgangspunkt.

  2. Der zweite Punkt auf meiner Liste war, mehr Zeit mit Menschen zu verbringen, die mir gut tun und mehr Sachen zu machen, die mir Freude bereiten, statt mein Leben ständig nur von „ich muss“ und „ich sollte“ bestimmen zu lassen. An dem Punkt arbeite ich noch, aber ich hab inzwischen einige Prioritäten anders gesetzt, angefangen Blog zu schreiben ...

  3. Und schliesslich wollte ich generell ein wenig mehr Ordnung in mein Leben bringen. Ich bin entweder richtig ordentlich, geradezu pedantisch, oder richtig chaotisch. Meistens verläuft es in Phasen. Inzwischen werden meine chaotischen Phasen kürzer und weniger intensiv. Ausserdem versuche ich gerade, den Mittelweg zwischen beiden Extremen mehr zu nutzen.


Ach, manchmal ist es richtig gut, sich weiche Ziele zu setzen. Dann kann man einfach mal sehen, wie es läuft und wieviel man tatsächlich schafft. An einem bestimmten Tag sein gesamtes Leben komplett umzustellen, nach dem Motto „ab jetzt wird alles anders“ ist sowieso nicht möglich, auch wenn es sich viele sehnlichst wünschen. Aber eine Kleinigkeit hier und da lässt sich schon ändern und wenn man all die Kleinigkeiten zusammenzählt, dann kommt im Laufe der Zeit doch eine ganze Menge dabei raus.


In diesem Sinne wünsche ich allseits ein gutes Neues Jahr, frohe Ostern oder einfach nur ein schönes Wochenende!

Montag, 10. März 2008

5. Gedanken zum 8. März

Am Samstag habe ich seit langer Zeit mal wieder an einer Veranstaltung zum Internationalen Frauentag teilgenommen. Es war eigentlich gar nicht geplant und ich habe mir auch nicht bewusst vorgenommen, dieses Jahr wieder aktiver zu sein. Vielmehr hat es sich einfach so ergeben. Ich bekam ein Infoblatt (auf Neudeutsch: „Flyer“) für ein ökumenisches Seminar, an dem auch Vertreterinnen der Isländischen Frauenkirche teilnahmen, in die Hände. Eine Kirche nur für Frauen - Da musste ich einfach hin! Ich bin von Natur aus neugierig und freu mich immer, wenn ich etwas Neues, mir noch Unbekanntes entdecke. Keine Angst, ich werde jetzt keinen Aufsatz über feministische Theologie schreiben! Darüber weiss ich ohnehin zu wenig. Die Frauenkirche wurde übrigens vor 15 Jahren gegründet und ist eine selbständige Unterabteilung der offiziellen Isländischen Lutherischen Kirche, der ungefähr 90 % der Bevölkerung in Island angehören.

Es war eine sehr angenehme Veranstaltung, an der auch Männer teilnahmen. Ein wenig anstrengend war das 8-Stunden-Programm auch. Ich verstehe Schwedisch inzwischen ziemlich gut, muss mich aber noch sehr darauf konzentrieren. Ich kann nicht einfach nur mit einem Ohr zuhören, während ich nebenbei noch was anderes mache. Und die Frauen aus Island sprachen Dänisch mit isländischem Akzent, was noch mehr Konzentration erforderte.

Was mir das Ganze jetzt gebracht hat? Tja, mal sehen:

1) Ich hab gelernt, dass ich inzwischen auch Dänisch verstehe, wenn ich sehr konzentriert zuhöre.

2) Ich hatte die Gelegenheit, auf die bisweilen etwas einseitige Sicht von Behinderung innerhalb der Kirche hinzuweisen. Das Thema Behinderung taucht in der Kirche leider oft nur in Geschichten um Wunderheilungen auf. Oder aber wenn man für arme Menschen, die es schwer haben, betet oder sich anderweitig um sie kümmert. Das ist zwar auch wichtig, aber auf die Dauer einfach nicht genug.

3) Es wurde mir mal wieder bewusst, dass der Kampf gegen Misstände und Ungerechtigkeiten zwar sehr wichtig ist, aber nicht ausreicht. Denn damit orientiert man sich ständig nur am Negativen, das bekämpft und verändert werden muss. Und letztlich ist es damit das Negative, das die Richtung angibt. Deshalb ist es wichtig, parallel dazu etwas Positives zu schaffen, ein Stück eigene Wirklichkeit, die ihre Wirkung entfalten kann.

Wie so etwas für die Behindertenszene aussehen könnte, weiss ich nicht. Aber ich bin offen für allerlei kreative Ideen, Utopien und Spinnereien und würde mich sofort für ein Gründungstreffen anmelden. Wer macht mit?

Freitag, 7. März 2008

4. Erzähl doch mal...

Wie sind die Schweden denn so?“ Diese Frage höre ich immer wieder von Freunden und Bekannten. Vielleicht ist es an der Zeit, dass ich mir darüber mal Gedanken mache.

Die Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Die Schweden - ich glaub, die gibt es genauso wenig wie die Schweizer oder die Deutschen. Jedes Volk ist wohl in erster Linie eine Ansammlung der unterschiedlichsten Individuen. Und trotzdem, ein paar Gemeinsamheiten sind meistens doch vorhanden.

Eigentlich kann ich nur etwas über die Menschen hier in Stockholm sagen, denn ich habe bisher noch nicht sehr viel mehr von Schweden gesehen.


Ein paar rein subjektive Beobachtungen:

Die meisten Leute in Stockholm sind freundlich, wohlerzogen und hilfsbereit, wenn man etwas fragt oder in einem Geschäft einkauft. Gleichzeitig sind sie distanziert und sehr auf ihre Privatsphäre bedacht. Diese – also die Privatsphäre – wird in Stockholm wohl besonders stark verteidigt, vor allem, wenn sich die Menschen in der anonymen Masse bewegen. Immer mal wieder wird Stockholmern von anderen Schweden vorgeworfen, das Zartgefühl eines Wasserbüffels zu haben. Ob das den Wasserbüffeln gerecht wird, kann ich nicht beurteilen. Aber ich bin noch nie in meinem Leben so oft angerempelt worden, wie in meiner ersten Zeit in Stockholm. Für gewöhnlich nehmen andere Leute auf meine Gehbehinderung und mein nicht allzu ausgeprägtes Gleichgewichtsgefühl Rücksicht. Zum Glück haben die Rempeleien inzwischen nachgelassen, nachdem ich nicht mehr so oft orientierungslos in der Gegend rumstehe.

Zum Ausgleich werde ich hier nicht wie ein kleines Kind behandelt, sondern als Frau wahrgenommen. Und die Leute fragen, ob sie helfen können, bevor sie zulangen und akzeptieren ein freundliches „Nein danke, es geht schon.“

Ähnlich wie die Schweizer fühlen sich die Schweden ihrem Land sehr verbunden. Es ist IHR Land, für das sie sich verantwortlich fühlen.

Sehr angenehm ist auch, dass alle per Du sind und man sich keine grossen Gedanken um die richtige Anrede machen muss. Die Tatsache, dass alle Menschen gleichviel wert sind, ist hier nicht nur Theorie, sondern wird auch gelebt und ist im Alltag deutlich zu spüren. Die Kehrseite davon ist allerdings ein ausgeprägter Sozialneid. Immer nach dem Motto: „Glaub bloss nicht, dass Du etwas Besseres bist, nur weil Du ne Million mehr verdienst oder grad ne Goldmedaille gewonnen hast.“


Wie in jedem Land gibt es ein paar ungeschriebene Verhaltensregeln:

In der U-Bahn setzt man sich zum Beispiel nicht neben eine unbekannte Person, wenn man sich auch etwas weiter weg setzen könnte. Und als geradezu aufdringlich gilt es, wenn man sich aller Konventionen zum Trotz ungezwungen neben eine fremde Person setzt und dabei auch noch „Guten Morgen“ sagt. Ein solches Verhalten zieht jede Menge misstrauischer Blicke an.

Man fordert eine andere Person auch nicht direkt auf, die Tasche von dem Sitz zu nehmen, auf den man sich gerne setzen würde. Stattdessen setzt man sich erstmal ganz an den Rand des auserwählten Platzes, mit ner halben Arschbacke sozusagen, und schaut die Tasche vorwurfsvoll an (Wohlgemerkt: Die Tasche! Nicht die Person, der die Tasche gehört!). Wenn das keinen Erfolg hat, dann rutscht man demonstrativ etwas näher an die Tasche heran und schaut diese noch vorwurfsvoller an. Das klappt dann meistens und der Sitz wird freigemacht. Wenn es nicht funktioniert, bleibt man eben mit ner Leidensmiene in der unbequemen Position sitzen und wirft der Tasche gelegentlich einen genervten Blick zu.


Alles in allem hab ich das Land und die Menschen hier sehr gern und sehe die kleinen Eigenheiten meistens als eine Art Kabaretteinlage.

Ich kann Dir/Euch/Ihnen nur von ganzem Herzen empfehlen, hierher zu kommen und selber eigene Beobachtungen anzustellen!

Montag, 25. Februar 2008

3. Behinderung und Kirche

Seit Samstag bin ich Kirchengemeinderätin. Ein wenig falle ich dort schon aus dem Rahmen: Die einzige unter 40, die einzige mit deutlich sichtbarer Behinderung und die einzige Ausländerin. Da könnte der eine oder die andere etwas boshaft auf den Gedanken kommen: Die haben wohl dringend jemand gebraucht! Ja, es lässt sich nicht leugnen, die Konkurrenz um solche Posten ist nicht allzu gross. Wie auch immer. Ich wurde jedenfalls richtig herzlich aufgenommen und hab nicht das Gefühl, Lückenfüllerin zu sein, weil man halt nichts Besseres gefunden hat.

Da wir gerade beim Thema Kirche sind: Neulich bin ich auf einen Artikel von Karin Boberg, einer behinderten schwedischen Theologin, gestossen (in „Lunds Stiftblad“, Nr. 11/2007). Eigentlich war ich ja im Internet auf der Suche nach etwas anderem. Aber wie das so oft im Leben ist, lohnt es sich manchmal, auch auf Dinge zu achten, die sich irgendwo am Rande verbergen.

Der Artikel ist ziemlich kurz und vielleicht ein wenig oberflächlich, aber enthält einige interessante Gedanken.

Die Autorin beginnt etwas provokativ mit folgender Behauptung (frei übersetzt):

„Wenn Du behindert bist, kannst Du auf drei verschiedene Arten behandelt werden:

1. Du wirst bemitleidet.

2. Man hält Dich für besonders gut und fröhlich

3. Menschen tun so, als ob Du überhaupt keine Schwierigkeiten hättest.

Du dagegen möchtest einfach nur als Mensch behandelt werden.“

Das ist natürlich stark vereinfacht, und selbstverständlich sind auch andere Möglichkeiten denkbar. Aber wenn ich darüber nachdenke, wie Menschen ohne Behinderung auf mich reagieren, so kommen mir die drei Varianten doch sehr vertraut vor.

Eine andere Aussage der Autorin ist: „ Menschen mit Behinderung wollen nicht als Empfänger von guten Taten angesehen werden. Frag sie, was sie Dir geben können und nicht, was Du ihnen geben kannst.“

Ein interessantes Gedankenspiel! Da gäbe es natürlich den Geldschein, den jemand in der Hand hält. Und das sehr beliebte offene Ohr für diverse schwierige Lebenslagen. Dass Behinderte stets geduldig und verständnisvoll zuhören, wenn jemand seine oder ihre Leidensgeschichte loswerden will, scheint leider erwartet zu werden. Aber sonst? Fällt irgendwem noch etwas anderes ein? Ok, ich provoziere. Selbstverständlich gibt es noch mindestens 127 Dinge, die hier erwähnt werden könnten.

Und schliesslich antwortet Karin Boberg auf die Frage, ob Menschen mit Behinderung in der Kirche diskriminiert werden: „Sowohl in der Kirche als auch allgemein in der Gesellschaft gibt es zu wenig Behinderte in verantwortungsvollen Positionen. Wir bauen zwar Rampen am Eingang der Kirche, aber wie sieht die Kanzel aus, von der gepredigt wird? Mit deren Plazierung sagen wir deutlich: Diejenigen, die predigen, gehen Treppen.“

Eine Rollstuhlfahrerin auf der Kanzel – eine schönes Bild, beinahe etwas surreal. Oder ist es einfach nur realitätsfremd? Warum sollte es so etwas eigentlich nicht geben?

Freitag, 15. Februar 2008

2. Stolpern, Therapien und eine Notärztin

Erst kürzlich bin ich beim Zeitunglesen über einen interessanten Artikel gestolpert. Ich stolper eigentlich recht häufig in meinem Leben. Über dieses oder jenes, hin und wieder auch beim Gehen - aber dazu vielleicht ein anderes Mal. Der besagte Artikel jedenfalls ist mir sofort aufgefallen, vermutlich wegen der Überschrift „Entgegen aller Erwartungen“ (etwas frei übersetzt). Ich hab’s gern, wenn jemand einfach seinen oder ihren Weg geht und etwas schafft, obwohl niemand daran geglaubt hat. Aber es kommt noch besser!

Der Artikel berichtet in einer äusserst angenehmen Weise und ganz ohne Rührseligkeit über das Leben der Victoria Webster, einer Notärztin mit Cerebralparese. Nachzulesen ist er übrigens in Schwedisch in den „Dagens Nyheter“ vom 27.01.2008.

Erst nach einem kurzen Situationsbericht über die Notaufnahme mit Frau Webster als zentraler Figur wird kurz auf die Behinderung eingegangen: Ein Sauerstoffmangel während der Geburt, der zur Folge hat, dass sie langsam redet, dass ihre Muskeln im Gesicht manchmal ein bisschen machen, was sie wollen, und dass sie ein wenig wie auf Stelzen geht.

Anfangs war ich etwas misstrauisch und hab befürchtet, dass sich hinter der schönen Überschrift und dem vielversprechenden Anfang doch wieder nur eine Heidi-Geschichte verbirgt. Immer nach demselben Muster: Person lässt sich nicht von ihrer Behinderung kleinkriegen, sondern kämpft mit allen Mitteln, die die moderne Medizin und unzählige Therapien bieten, dagegen an. Person gewinnt den Kampf dank hartnäckiger Selbstquälerei und unerschütterlichem Lebensmut und mutiert zum Schluss zu einem vollwertigen Mitglied der Gesellschaft.

Ich weiss, ich bin manchmal etwas zynisch. Aber wäre es nicht schöner, wenn man auch mit Behinderung einfach nur leben dürfte, ohne Therapie- oder Normalisierungszwang? Wer mag, macht die Therapie, die Besserung verspricht. Und wer nicht mag, lässt es eben bleiben. Kein Zwang, kein Druck, keine Quälerei. Ich hab übrigens absolut nichts gegen medizinische Fortschritte oder Therapien. Jedenfalls nicht prinzipiell und nicht, solange diese sinn- und massvoll eingesetzt werden und den davon Betroffenen gut tun. Und genau da liegt oft der Haken. In meinem Bekanntenkreis gibt es nur wenig Leute mit Behinderung, die zum Thema Therapie nicht zumindest eine Gruselgeschichte erzählen können.

Aber ich schweife ab. Eigentlich wollte ich ja von der behinderten Notärztin Victoria Webster berichten. Sie erzählt in dem Artikel über ihren Kampf, den sie ausfechten musste, bis sie sich endlich ihren Traum erfüllen konnte und Ärztin wurde. Aber den Kampf führte sie nicht gegen sich selbst und gegen ihren Körper. Stattdessen erzählt sie, wie sie bereits nach drei Tagen Studium bei der Kursleiterin vorsprechen musste, die ihr nahelegte, das Studium doch abzubrechen und den Platz für jemand anderen freizugeben, da ja später sowieso kein Patient von ihr behandelt werden wolle. Ausserdem durfte sich Frau Webster noch anhören, dass es aber gut war, dass sie zur Ausbildung zugelassen wurde, weil sich damit gezeigt habe, dass etwas mit dem Zulassungssystem falsch sei. Frau Webster ist dem gutgemeinten Rat jedoch nicht gefolgt, sondern hat die Zähne zusammengebissen und weitergemacht, auch als noch andere Lehrer versucht haben, sie zum Aufgeben zu bewegen. Später als Ärztin wurde sie, wie erwartet, auch mit negativen Reaktionen von Patienten konfrontiert. Aber das ist, so erzählt sie, nicht mehr vorgekommen, seitdem sie sich ungefähr wie folgt vorstellt: „Guten Tag, ich heisse Victoria Webster und habe eine angeborene Behinderung. Ich hoffe, das stört nicht. Erzählen Sie mir doch bitte, warum Sie hier sind“

Und das i-Tüpfelchen der Geschichte: Im ganzen Artikel wird das Wort Lebensfreude nicht ein einziges Mal erwähnt!

Donnerstag, 14. Februar 2008

1. Kurze Vorstellung

Eigentlich heisse ich ja Petra, aber den Namen Ronja finde ich für meinen Blog einfach passender. Vor allem, da ich zur Zeit in Schweden lebe, der Heimat Astrid Lindgrens. Allerdings nicht in Småland, sondern in Stockholm. Wie es dazu kam? Nun, die Liebe zur Welt der Astrid-Lindgren-Bücher reichte dafür nicht ganz aus; aber die Liebe zu meinem Mann Lars, der hier Arbeit gefunden hat.

Zunächst ein paar Stichworte zu mir:

Spina bifida (= angeborene Querschnittlähmung) – Juristin – 36 Jahre alt – Aussonder(schul)erfahrung – deutscher Pass – Cerebralparese (= CP, Spastik) - dreisprachig (deutsch, englisch, schwedisch) ...


Was ich jetzt in Schweden mache? Das erste Jahr war ich hauptberuflich damit beschäftigt, Schwedisch zu lernen. Inzwischen studiere ich ein wenig Recht an der Uni, um zumindest einen groben Überblick über das schwedisches Rechtssystem zu bekommen. Was danach kommt, wird sich zeigen.

Und sonst? Zur Zeit singe ich leidenschaftlich gerne und laut Mariah Careys Lied „Hero“ mit, wenigstens einmal täglich. Ich treffe nicht immer den richtigen Ton und verpasse manchmal den Einsatz, aber das macht nichts. Es tut einfach gut, ab und zu die eigene Stimme zu hören. Hin und wieder verabrede ich mich auch per SMS mit meiner Herzensschwester Marly und wir singen gleichzeitig, jede an ihrem Ort. Das ist dann der Höhepunkt des Tages.

Ich habe in Zukunft vor, jeden 8. und 28. eines Monat einen Beitrag zu veröffentlichen, und manchmal auch am 18. Ich bitte jedoch, das nicht strikt wortwörtlich zu nehmen. Es kann durchaus vorkommen, dass es mal erst am 29. klappt oder schon am 7. Ein tieferer Sinn liegt der Wahl der Daten übrigens nicht zugrunde. Es soll einfach eine gewisse Regelmässigkeit garantieren.

In diesem Sinne: bis zum 28.