Montag, 22. August 2011

43. Zwischen Hoffnung und Verzweiflung

Ich hab gerade wieder an meine Reise in diesem Sommar gedacht. Ich hab im letzten Beitrag ein wenig davon berichtet. Es war schon ein sehr besonderes Erlebnis. Kurz nachdem wir wieder zu Hause waren, war das Bombenattentat in Oslo und die vielen Morde an den Jugendlichen auf der Insel Utøya. Der Gedanke daran ist für mich nach wie vor kaum auszuhalten: Dass ein einzelner Mensch seinen Mitmenschen so viel Schmerzen zufügen kann. Ich hab lange darüber nachgedacht, ob ich etwas dazu schreiben soll. Irgendwie ist unsere Reise mit den furchtbaren Ereignissen verbunden und ich kann nicht so tun, als ob das nicht so wäre. Auf der anderen Seite ist schon so viel darüber geschrieben worden und ich glaube nicht, dass ich mit tieferen Einsichten beitragen kann.

Manchmal bin ich am Verzweifeln und mag die Zeitung gar nicht aufschlagen. So viel Hass und Gewalt und Elend überall, wo auch immer man hinschaut. Und es gibt so wenig, was man dagegen tun kann. In solchen Momenten gehe ich oft raus auf meinen Balkon und suche Antworten in den Wolken. Ich weiss, dass sehr viel möglich ist, wenn jeder ein bisschen etwas dazu beiträgt, um diese Welt zu einem besseren Platz für alle Menschen zu machen. Ich weiss, dass Liebe und Solidarität die Antwort auf sehr viele Fragen ist. Und ich weigere mich einfach, die Hoffnung aufzugeben.




Donnerstag, 4. August 2011

42. Pilgerfahrt

Ich bin wieder zurück, eigentlich schon seit guten zwei Wochen. Mein Mann und ich sind mit einem Mietwagen gen Norden gefahren. Unsere Reise wurde, ohne dass wir das geplant hatten, zu einer Pilgerfahrt. Zumindest für mich. Bis vor unserem Urlaub wusste ich nicht, dass es auch in Schweden Pilgerwege gibt. Ich hatte nur von den klassischen Pilgerzielen, wie Santiago de Compostela, Rom und Jerusalem gehört. Schön, dass man täglich neue Dinge entdecken kann, wenn man das möchte. Die meisten schwedischen Wege haben den Nidarosdom in Trondheim (Norwegen) zum Ziel.

Ja, ich weiss, normalerweise ist man bei einer Pilgerfahrt wochen- oder monatelang zu Fuss unterwegs. Das geht bei mir halt nicht, auch wenn ich manchmal denke, dass ich es gern tun würde. Aber wer sagt denn, dass man Dinge immer nur nach vorgegebenem Schema erledigen darf? Eines der Ziele einer Pilgrimsreise ist es, zu sich selbst zu finden. Das geht auch mit Auto. Es ist sehr empfehlenswert, für eine innere Reise einen erprobten Weg zu beschreiten, aber nur der Masse nachzurennen, bringt nichts. Individualität im schützenden Rahmen der Tradition. Der eigene Weg ist immer höchst individuell, und doch nicht so besonders, wie es sich manchmal anfühlen kann. Während unserer Reise musste ich übrigens oft an Paulo Coelhos Buch "Auf dem Jakobsweg" denken. Wer schon mal was von Paulo Coelho gelesen hat, dem werden wohl einige Ideen und Gedanken, über die ich hier schreibe, bekannt vorkommen.

Die Reise war für mich eine Herausforderung, bei der ich immer wieder an meine Grenzen stiess und diese dann doch nicht erreicht habe. Es ging zum Beispiel durch kilometerlange Tunnels und dabei ist bzw. war es mir immer sehr unwohl. Der erste Tunnel, durch den ich selbst gefahren bin, hat meine gesamte Selbstbeherrschung gefordert. Ich weiss nicht, wie lang er war - es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Ich hab mich am Steuer festgeklammert und mich darauf konzentriert, dass wir bald wieder draussen sind. Mein Fenster war auf und ich hätte es gerne zu gemacht, um nicht die ganzen Abgase einzuatmen, aber es ging nicht. Ich war an der Grenze meiner Belastbarkeit und es war für mich unmöglich, eine Hand vom Steuer zu nehmen.Welche Erleichterung, als wir endlich draussen waren! Und welche Verwunderung, dass ich das tatsächlich geschafft hatte. Mit jedem weiteren Tunnel ging es leichter und ein paar Tunnels später konnte ich mich sogar an den hübschen Sternchen, die manchmal zur Dekoration oder Ablenkung am Beton angebracht waren, erfreuen.

Dass ich mich auf einer Pilgerreise befinde, ist mir erst richtig bewusst geworden, als wir in der Pilgerkirche in Sånga (in der Nähe von Sollefteå) waren, die wir "zufällig" entdeckt hatten. Ein wenig verblüfft mich das, denn ich wäre beinahe an der Kirche vorbeigefahren ohne anzuhalten. Ich glaub ja nicht an den Zufall, sondern daran, dass Gott auf manchmal unerklärliche Weise unsere Wege lenkt. Ich bin gerade dabei zu lernen, mich mehr darauf einzulassen, und gleichzeitig zu beachten, dass ich selbst für meine Entscheidungen und für mein Handeln verantwortlich bin. Das ist nicht immer einfach - ich hätte ja auch einfach ohne an der Kirche anzuhalten, weiterfahren können. Mein Mann und ich schauen uns gern Kirchen an, wenn wir unterwegs sind. Das ist immer ein guter Platz, um eine Pause zu machen. Viel ruhiger und erholsamer als irgendwelche ausgewiesene Rastplätze. Und in Schweden kriegt man dort häufig eine Tasse Kaffee oder Tee, vielleicht ein paar Kekse und eine Toilette, die man benutzen darf, gibt es meisten auch. Ein hübsches Plätzchen an einem ruhigen See oder einem wilden Fluss ist natürlich auch toll.

Nachdem mir bewusst wurde, dass ich mich auf einer Pilgerreise befand, war es geradezu ein Muss, bis zum Nidarosdom in Trondheim zu fahren. Damit hatte unsere Pilgerfahrt ein Ziel. In Trondheim haben wir an einem Pilgergottesdienst im Nidarosdom teilgenommen, der von Ole Christian Kvarme, dem Bischof von Oslo, gehalten wurde. Das wäre ein passender Abschluss unserer Pilgerfahrt gewesen, aber irgendwie war es damit noch nicht vorbei. Die Reise ging erst noch weiter zu einer Bergstrasse ("Trollstigen"), die an einem Fjord entlang führt. Wunderschön! Mein Mann hat mich vorsichtig gefragt, ob ich die Strecke fahren könnte, damit er Fotos machen kann. Was hat es mir davor gegraust! Ich hab Höhenangst. Ich hab vor ziemlich vielem Angst, wenn ich so darüber nachdenke. Erstaunlicherweise hab ich sehr viel mehr Angst, wenn es nach oben geht. Runterfahren ist meistens viel einfacher. Ich war mir absolut nicht sicher, ob ich es schaffen würde, mit einem fremden Auto auf schmalen kurvigen Strassen knapp am Abgrund entlangzufahren. Es hat mich ein wenig beruhigt, als ich gesehen hab, dass viele Leute dort sogar mit Wohnmobil unterwegs waren. Das hat meinen Ehrgeiz herausgefordert und ich dachte oft, wenn andere hier mit Wohnmobil fahren können, dann schaffe ich das auch mit nem normalen Auto. Ich bin sehr vorsichtig gefahren und es ging nicht schnell - wir wollten die Strecke ja ohnehin geniessen. Nach und nach hat es sogar mit dem Geniessen der Strecke funktioniert. Die Umgebung war einfach zu schön, als dass ich sie hätte ignorieren können. Es war eine gute Übung, um zu lernen, mich auf den Weg zu konzentrieren und mich gleichzeitig an der Schönheit um mich herum zu erfreuen. Erst nachdem ich diese Fahrt hinter mir hatte, hatte ich wirklich das Gefühl, dass meine Pilgerfahrt zu Ende war. Das wollte ich gerne mit einem Ritual abschliessen. Dazu hat sich die Stabkirche in Lom angeboten, die wir am nächsten Tag besichtigt haben. Später habe ich dann in Gedanken an dem Pilgergottesdienst, der zur selben Zeit wie am Vortag mit demselben Bischof im Nidarosdom gefeiert wurde, teilgenommen. Erst damit war meine Pilgerreise wirklich beendet. Naja, beendet stimmt wohl nicht so ganz, denn eine Pilgerreise ist eigentlich erst der Anfang. Fortsetzung folgt.

Und hier noch ein paar Bilder:

Die Pilgerkirche in Sånga


Der Nidarosdom in Trondheim


Die Bergstrasse "Trollstigen"