Dienstag, 7. April 2009

22. Andere Länder, andere Sitten

Heute war ein richtig schöner Frühlingstag, mit Sonnenschein und vielleicht 10-15°C und ich habe es zum 1. Mal in diesem Jahr gewagt, das Haus ohne lange Unterhose zu verlassen. Für einige Schweden war es dagegen bereits T-Shirt-Wetter. Mit kurzer Hose habe ich nur einen gesehen, aber das lässt bestimmt auch nicht mehr so lange auf sich warten. Diese unterschiedliche Temperaturwahrnehmung verblüfft mich immer wieder, auch nach mehr als 2 ½ Jahren in Schweden.

Ich kann es kaum glauben, aber es sind tatsächlich schon 2 ½ Jahre vergangen, seit ich nach Stockholm gezogen bin. Es gibt sicher auch einige schwedische Eigenarten, die ich inzwischen übernommen habe. Eigentlich bin ich sehr vorsichtig mit Verallgemeinerungen, aber irgendwann musste ich zu meinem Erstaunen feststellen, dass es tatsächlich Dinge gibt, die landestypisch sind. Bei Wind und Wetter die Fenster aufzureissen und zu lüften scheint typisch deutsch zu sein. Das war mir lange nicht bewusst. Für mich war es einfach selbstverständlich, dass man ab und zu etwas frische Luft braucht, zumindest 1x täglich. Für diejenigen, die mich nicht kennen: Ich bin Deutsche.

Schweden sind im Allgemeinen sehr vorsichtig und diplomatisch. Das harmoniert nicht immer mit dem deutschen Verhandlungsstil, der im Vergleich dazu eher wie „mit der Faust aufs Auge“ wirkt. Was auf Deutsch eine einfache Frage oder Bitte ist, kommt alleine wegen der Direktheit im Schwedischen oft als etwas ruppiger Befehlston an. Entsprechend fällt die Reaktion aus. Die schwedische Strategie ist es, dem bzw. der anderen die Gelegenheit zu geben, selber auf die Lösung zu kommen. Noch besser ist es, wenn es gelingt, zuerst ein Wir-Gefühl zu schaffen um dann gemeinsam eine Lösung zu erarbeiten. Sofort einen Vorschlag zu präsentieren, gilt als unhöflich. Man fragt also nicht plump und direkt: „Hättest Du morgen Nachmittag Zeit zum Kaffeetrinken?“, sondern tastet sich behutsam vor. Das kann manchmal ziemlich anstrengend sein. Gleichzeitig finde ich es schön, dass Schweden achtsam miteinander umgehen. Und ich lerne. Dass ich Fortschritte in meinem Grundkurs der Diplomatie mache, merke ich vor allem bei meinen Aufenthalten in Deutschland. Bei Verhandlungen am Fahrkartenschalter der Deutschen Bahn zum Beispiel führt allzu grosse Zurückhaltung nicht unbedingt zum Erfolg. Die rhetorische Frage: „Ist es jetzt für ne Reservierung zu spät?“ wird in Deutschland schlicht und spontan mit „Ja“ beantwortet (denn das macht am wenigsten Arbeit) auch wenn eine Reservierung problemlos möglich wäre. In Schweden hingegen erhält man mit grösster Wahrscheinlichkeit ein „Nein, nein, das kriegen wir schon noch hin“ zur Antwort.

Eine Konsequenz der schwedischen Zurückhaltung ist wohl auch, dass ich hier wegen meiner Gehbehinderung nicht ständig angestarrt werde, sobald ich irgendwo zu Fuss unterwegs bin. Dieses destruktive Starren (wie es ein Bekannter von mir mal so schön formuliert hat) scheint mir in der Schweiz auch weniger stark ausgeprägt zu sein als in Deutschland (ich habe vor meinem Umzug nach Schweden zwei Jahre lang in Zürich gelebt, konnte also auch dort ein paar Erfahrungen sammeln). In der Schweiz hatte ich hingegen oft das Gefühl, als würden die Leute demonstrativ nicht hinschauen. Es ist schwierig, die Unterschiede zu erklären und ich behaupte auch nicht, dass es alle anderen genauso wahrnehmen. Ich finde es manchmal einfach spannend, wie unterschiedlich Menschen in verschiedenen Ländern auf den Anblick von Leuten mit ner Behinderung - also beispielsweise auf mich - reagieren.