Freitag, 21. März 2008

6. Neujahrsvorsätze

Hin und wieder kann es hilfreich sein, eine Bestandsaufnahme zu machen und sich zu überlegen, wo im Leben man gerade steht. Und da zur Zeit Nouruz, das persische Neujahrsfest, gefeiert wird, dachte ich mir, dass das ein guter Anlass ist, darüber nachzudenken, was aus all den Dingen geworden ist, die ich mir vor langer, langer Zeit in der Nacht zum 1. Januar vorgenommen habe. In dieser für mich wichtigen Neujahrsnacht habe ich mir „weiche“ Ziele gesetzt, also solche, die kein fest definiertes Ergebnis haben. Auf die kann man hinarbeiten und das erhöht die Erfolgsquote beträchtlich. Was war es also, was ich an meinem Leben ändern wollte? Drei Punkte insgesamt.


  1. Ich wollte mich mehr um meinen Körper kümmern

    Wie so manch anderen Personen, die eine oder mehrere Behinderungen besitzen, fällt es mir manchmal schwer, liebevoll mit meinem Körper umzugehen. Eigentlich ist es nicht so erstaunlich. Mein Körper wird von anderen, vor allem von Menschen ohne Behinderung, nicht unbedingt als schön angesehen und diese negative Einstellung habe ich ein Stück weit verinnerlicht, mit der Folge, dass ich manchmal auch daran glaube. Ausserdem setzt mir mein Körper hin und wieder Grenzen, die ich nur ungern akzeptiere und bisweilen bereitet er mir auch Schmerzen. Aber trotzdem ist mein Körper ein wichtiger untrennbarer Teil von mir, der mir auch viel Freude schenkt und einfach ein wenig mehr Aufmerksamkeit und Fürsorge verdient hat. Mit zu meinem neuen Programm gehören Gymnastik und der Verlust einiger Kilos. Ob eine Diät wirklich unter diesem Punkt passt oder nicht besser ein separater Punkt sein sollte, weiss ich nicht. Man könnte „Diät“ auch unter das Stichwort „sich selber quälen“ sortieren. Aber letztlich ist es egal. Ich hab jedenfalls festgestellt, dass ich jedes Jahr ein wenig mehr wiege und es zunehmend mühsamer wird, das Gewicht mit mir rumzuschleppen und deshalb beschlossen, dass ich an dieser Situation etwas ändern möchte.

    Was jetzt aus all dem geworden ist? Es tut sich was. Ich gehe inzwischen wieder regelmässig einmal wöchentlich zur Krankengymnastik und mache (fast) jeden Tag zu Hause ein bisschen Gymnastik und ein paar vorsichtige Dehnungsübungen Das hat zur Folge, dass meine Spastik etwas weniger geworden ist, ich also nicht mehr so verkrampft bin, und meine Rückenschmerzen fast weg sind. Und drei Kilo habe ich auch schon abgenommen. Der Gewichtsverlust klingt vielleicht nicht allzu beeindruckend, aber dafür hält sich auch die Selbstquälerei in Grenzen. Und wie hat doch Håkan Lindquist, ein schwedischer Schwulenaktivist und erklärter Nicht-Heterosexueller, mal so schön gesagt: „Auch ein kleiner Schritt bringt Dich zu einem neuen Ausgangspunkt.

  2. Der zweite Punkt auf meiner Liste war, mehr Zeit mit Menschen zu verbringen, die mir gut tun und mehr Sachen zu machen, die mir Freude bereiten, statt mein Leben ständig nur von „ich muss“ und „ich sollte“ bestimmen zu lassen. An dem Punkt arbeite ich noch, aber ich hab inzwischen einige Prioritäten anders gesetzt, angefangen Blog zu schreiben ...

  3. Und schliesslich wollte ich generell ein wenig mehr Ordnung in mein Leben bringen. Ich bin entweder richtig ordentlich, geradezu pedantisch, oder richtig chaotisch. Meistens verläuft es in Phasen. Inzwischen werden meine chaotischen Phasen kürzer und weniger intensiv. Ausserdem versuche ich gerade, den Mittelweg zwischen beiden Extremen mehr zu nutzen.


Ach, manchmal ist es richtig gut, sich weiche Ziele zu setzen. Dann kann man einfach mal sehen, wie es läuft und wieviel man tatsächlich schafft. An einem bestimmten Tag sein gesamtes Leben komplett umzustellen, nach dem Motto „ab jetzt wird alles anders“ ist sowieso nicht möglich, auch wenn es sich viele sehnlichst wünschen. Aber eine Kleinigkeit hier und da lässt sich schon ändern und wenn man all die Kleinigkeiten zusammenzählt, dann kommt im Laufe der Zeit doch eine ganze Menge dabei raus.


In diesem Sinne wünsche ich allseits ein gutes Neues Jahr, frohe Ostern oder einfach nur ein schönes Wochenende!

Montag, 10. März 2008

5. Gedanken zum 8. März

Am Samstag habe ich seit langer Zeit mal wieder an einer Veranstaltung zum Internationalen Frauentag teilgenommen. Es war eigentlich gar nicht geplant und ich habe mir auch nicht bewusst vorgenommen, dieses Jahr wieder aktiver zu sein. Vielmehr hat es sich einfach so ergeben. Ich bekam ein Infoblatt (auf Neudeutsch: „Flyer“) für ein ökumenisches Seminar, an dem auch Vertreterinnen der Isländischen Frauenkirche teilnahmen, in die Hände. Eine Kirche nur für Frauen - Da musste ich einfach hin! Ich bin von Natur aus neugierig und freu mich immer, wenn ich etwas Neues, mir noch Unbekanntes entdecke. Keine Angst, ich werde jetzt keinen Aufsatz über feministische Theologie schreiben! Darüber weiss ich ohnehin zu wenig. Die Frauenkirche wurde übrigens vor 15 Jahren gegründet und ist eine selbständige Unterabteilung der offiziellen Isländischen Lutherischen Kirche, der ungefähr 90 % der Bevölkerung in Island angehören.

Es war eine sehr angenehme Veranstaltung, an der auch Männer teilnahmen. Ein wenig anstrengend war das 8-Stunden-Programm auch. Ich verstehe Schwedisch inzwischen ziemlich gut, muss mich aber noch sehr darauf konzentrieren. Ich kann nicht einfach nur mit einem Ohr zuhören, während ich nebenbei noch was anderes mache. Und die Frauen aus Island sprachen Dänisch mit isländischem Akzent, was noch mehr Konzentration erforderte.

Was mir das Ganze jetzt gebracht hat? Tja, mal sehen:

1) Ich hab gelernt, dass ich inzwischen auch Dänisch verstehe, wenn ich sehr konzentriert zuhöre.

2) Ich hatte die Gelegenheit, auf die bisweilen etwas einseitige Sicht von Behinderung innerhalb der Kirche hinzuweisen. Das Thema Behinderung taucht in der Kirche leider oft nur in Geschichten um Wunderheilungen auf. Oder aber wenn man für arme Menschen, die es schwer haben, betet oder sich anderweitig um sie kümmert. Das ist zwar auch wichtig, aber auf die Dauer einfach nicht genug.

3) Es wurde mir mal wieder bewusst, dass der Kampf gegen Misstände und Ungerechtigkeiten zwar sehr wichtig ist, aber nicht ausreicht. Denn damit orientiert man sich ständig nur am Negativen, das bekämpft und verändert werden muss. Und letztlich ist es damit das Negative, das die Richtung angibt. Deshalb ist es wichtig, parallel dazu etwas Positives zu schaffen, ein Stück eigene Wirklichkeit, die ihre Wirkung entfalten kann.

Wie so etwas für die Behindertenszene aussehen könnte, weiss ich nicht. Aber ich bin offen für allerlei kreative Ideen, Utopien und Spinnereien und würde mich sofort für ein Gründungstreffen anmelden. Wer macht mit?

Freitag, 7. März 2008

4. Erzähl doch mal...

Wie sind die Schweden denn so?“ Diese Frage höre ich immer wieder von Freunden und Bekannten. Vielleicht ist es an der Zeit, dass ich mir darüber mal Gedanken mache.

Die Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Die Schweden - ich glaub, die gibt es genauso wenig wie die Schweizer oder die Deutschen. Jedes Volk ist wohl in erster Linie eine Ansammlung der unterschiedlichsten Individuen. Und trotzdem, ein paar Gemeinsamheiten sind meistens doch vorhanden.

Eigentlich kann ich nur etwas über die Menschen hier in Stockholm sagen, denn ich habe bisher noch nicht sehr viel mehr von Schweden gesehen.


Ein paar rein subjektive Beobachtungen:

Die meisten Leute in Stockholm sind freundlich, wohlerzogen und hilfsbereit, wenn man etwas fragt oder in einem Geschäft einkauft. Gleichzeitig sind sie distanziert und sehr auf ihre Privatsphäre bedacht. Diese – also die Privatsphäre – wird in Stockholm wohl besonders stark verteidigt, vor allem, wenn sich die Menschen in der anonymen Masse bewegen. Immer mal wieder wird Stockholmern von anderen Schweden vorgeworfen, das Zartgefühl eines Wasserbüffels zu haben. Ob das den Wasserbüffeln gerecht wird, kann ich nicht beurteilen. Aber ich bin noch nie in meinem Leben so oft angerempelt worden, wie in meiner ersten Zeit in Stockholm. Für gewöhnlich nehmen andere Leute auf meine Gehbehinderung und mein nicht allzu ausgeprägtes Gleichgewichtsgefühl Rücksicht. Zum Glück haben die Rempeleien inzwischen nachgelassen, nachdem ich nicht mehr so oft orientierungslos in der Gegend rumstehe.

Zum Ausgleich werde ich hier nicht wie ein kleines Kind behandelt, sondern als Frau wahrgenommen. Und die Leute fragen, ob sie helfen können, bevor sie zulangen und akzeptieren ein freundliches „Nein danke, es geht schon.“

Ähnlich wie die Schweizer fühlen sich die Schweden ihrem Land sehr verbunden. Es ist IHR Land, für das sie sich verantwortlich fühlen.

Sehr angenehm ist auch, dass alle per Du sind und man sich keine grossen Gedanken um die richtige Anrede machen muss. Die Tatsache, dass alle Menschen gleichviel wert sind, ist hier nicht nur Theorie, sondern wird auch gelebt und ist im Alltag deutlich zu spüren. Die Kehrseite davon ist allerdings ein ausgeprägter Sozialneid. Immer nach dem Motto: „Glaub bloss nicht, dass Du etwas Besseres bist, nur weil Du ne Million mehr verdienst oder grad ne Goldmedaille gewonnen hast.“


Wie in jedem Land gibt es ein paar ungeschriebene Verhaltensregeln:

In der U-Bahn setzt man sich zum Beispiel nicht neben eine unbekannte Person, wenn man sich auch etwas weiter weg setzen könnte. Und als geradezu aufdringlich gilt es, wenn man sich aller Konventionen zum Trotz ungezwungen neben eine fremde Person setzt und dabei auch noch „Guten Morgen“ sagt. Ein solches Verhalten zieht jede Menge misstrauischer Blicke an.

Man fordert eine andere Person auch nicht direkt auf, die Tasche von dem Sitz zu nehmen, auf den man sich gerne setzen würde. Stattdessen setzt man sich erstmal ganz an den Rand des auserwählten Platzes, mit ner halben Arschbacke sozusagen, und schaut die Tasche vorwurfsvoll an (Wohlgemerkt: Die Tasche! Nicht die Person, der die Tasche gehört!). Wenn das keinen Erfolg hat, dann rutscht man demonstrativ etwas näher an die Tasche heran und schaut diese noch vorwurfsvoller an. Das klappt dann meistens und der Sitz wird freigemacht. Wenn es nicht funktioniert, bleibt man eben mit ner Leidensmiene in der unbequemen Position sitzen und wirft der Tasche gelegentlich einen genervten Blick zu.


Alles in allem hab ich das Land und die Menschen hier sehr gern und sehe die kleinen Eigenheiten meistens als eine Art Kabaretteinlage.

Ich kann Dir/Euch/Ihnen nur von ganzem Herzen empfehlen, hierher zu kommen und selber eigene Beobachtungen anzustellen!