Montag, 25. Februar 2008

3. Behinderung und Kirche

Seit Samstag bin ich Kirchengemeinderätin. Ein wenig falle ich dort schon aus dem Rahmen: Die einzige unter 40, die einzige mit deutlich sichtbarer Behinderung und die einzige Ausländerin. Da könnte der eine oder die andere etwas boshaft auf den Gedanken kommen: Die haben wohl dringend jemand gebraucht! Ja, es lässt sich nicht leugnen, die Konkurrenz um solche Posten ist nicht allzu gross. Wie auch immer. Ich wurde jedenfalls richtig herzlich aufgenommen und hab nicht das Gefühl, Lückenfüllerin zu sein, weil man halt nichts Besseres gefunden hat.

Da wir gerade beim Thema Kirche sind: Neulich bin ich auf einen Artikel von Karin Boberg, einer behinderten schwedischen Theologin, gestossen (in „Lunds Stiftblad“, Nr. 11/2007). Eigentlich war ich ja im Internet auf der Suche nach etwas anderem. Aber wie das so oft im Leben ist, lohnt es sich manchmal, auch auf Dinge zu achten, die sich irgendwo am Rande verbergen.

Der Artikel ist ziemlich kurz und vielleicht ein wenig oberflächlich, aber enthält einige interessante Gedanken.

Die Autorin beginnt etwas provokativ mit folgender Behauptung (frei übersetzt):

„Wenn Du behindert bist, kannst Du auf drei verschiedene Arten behandelt werden:

1. Du wirst bemitleidet.

2. Man hält Dich für besonders gut und fröhlich

3. Menschen tun so, als ob Du überhaupt keine Schwierigkeiten hättest.

Du dagegen möchtest einfach nur als Mensch behandelt werden.“

Das ist natürlich stark vereinfacht, und selbstverständlich sind auch andere Möglichkeiten denkbar. Aber wenn ich darüber nachdenke, wie Menschen ohne Behinderung auf mich reagieren, so kommen mir die drei Varianten doch sehr vertraut vor.

Eine andere Aussage der Autorin ist: „ Menschen mit Behinderung wollen nicht als Empfänger von guten Taten angesehen werden. Frag sie, was sie Dir geben können und nicht, was Du ihnen geben kannst.“

Ein interessantes Gedankenspiel! Da gäbe es natürlich den Geldschein, den jemand in der Hand hält. Und das sehr beliebte offene Ohr für diverse schwierige Lebenslagen. Dass Behinderte stets geduldig und verständnisvoll zuhören, wenn jemand seine oder ihre Leidensgeschichte loswerden will, scheint leider erwartet zu werden. Aber sonst? Fällt irgendwem noch etwas anderes ein? Ok, ich provoziere. Selbstverständlich gibt es noch mindestens 127 Dinge, die hier erwähnt werden könnten.

Und schliesslich antwortet Karin Boberg auf die Frage, ob Menschen mit Behinderung in der Kirche diskriminiert werden: „Sowohl in der Kirche als auch allgemein in der Gesellschaft gibt es zu wenig Behinderte in verantwortungsvollen Positionen. Wir bauen zwar Rampen am Eingang der Kirche, aber wie sieht die Kanzel aus, von der gepredigt wird? Mit deren Plazierung sagen wir deutlich: Diejenigen, die predigen, gehen Treppen.“

Eine Rollstuhlfahrerin auf der Kanzel – eine schönes Bild, beinahe etwas surreal. Oder ist es einfach nur realitätsfremd? Warum sollte es so etwas eigentlich nicht geben?

Freitag, 15. Februar 2008

2. Stolpern, Therapien und eine Notärztin

Erst kürzlich bin ich beim Zeitunglesen über einen interessanten Artikel gestolpert. Ich stolper eigentlich recht häufig in meinem Leben. Über dieses oder jenes, hin und wieder auch beim Gehen - aber dazu vielleicht ein anderes Mal. Der besagte Artikel jedenfalls ist mir sofort aufgefallen, vermutlich wegen der Überschrift „Entgegen aller Erwartungen“ (etwas frei übersetzt). Ich hab’s gern, wenn jemand einfach seinen oder ihren Weg geht und etwas schafft, obwohl niemand daran geglaubt hat. Aber es kommt noch besser!

Der Artikel berichtet in einer äusserst angenehmen Weise und ganz ohne Rührseligkeit über das Leben der Victoria Webster, einer Notärztin mit Cerebralparese. Nachzulesen ist er übrigens in Schwedisch in den „Dagens Nyheter“ vom 27.01.2008.

Erst nach einem kurzen Situationsbericht über die Notaufnahme mit Frau Webster als zentraler Figur wird kurz auf die Behinderung eingegangen: Ein Sauerstoffmangel während der Geburt, der zur Folge hat, dass sie langsam redet, dass ihre Muskeln im Gesicht manchmal ein bisschen machen, was sie wollen, und dass sie ein wenig wie auf Stelzen geht.

Anfangs war ich etwas misstrauisch und hab befürchtet, dass sich hinter der schönen Überschrift und dem vielversprechenden Anfang doch wieder nur eine Heidi-Geschichte verbirgt. Immer nach demselben Muster: Person lässt sich nicht von ihrer Behinderung kleinkriegen, sondern kämpft mit allen Mitteln, die die moderne Medizin und unzählige Therapien bieten, dagegen an. Person gewinnt den Kampf dank hartnäckiger Selbstquälerei und unerschütterlichem Lebensmut und mutiert zum Schluss zu einem vollwertigen Mitglied der Gesellschaft.

Ich weiss, ich bin manchmal etwas zynisch. Aber wäre es nicht schöner, wenn man auch mit Behinderung einfach nur leben dürfte, ohne Therapie- oder Normalisierungszwang? Wer mag, macht die Therapie, die Besserung verspricht. Und wer nicht mag, lässt es eben bleiben. Kein Zwang, kein Druck, keine Quälerei. Ich hab übrigens absolut nichts gegen medizinische Fortschritte oder Therapien. Jedenfalls nicht prinzipiell und nicht, solange diese sinn- und massvoll eingesetzt werden und den davon Betroffenen gut tun. Und genau da liegt oft der Haken. In meinem Bekanntenkreis gibt es nur wenig Leute mit Behinderung, die zum Thema Therapie nicht zumindest eine Gruselgeschichte erzählen können.

Aber ich schweife ab. Eigentlich wollte ich ja von der behinderten Notärztin Victoria Webster berichten. Sie erzählt in dem Artikel über ihren Kampf, den sie ausfechten musste, bis sie sich endlich ihren Traum erfüllen konnte und Ärztin wurde. Aber den Kampf führte sie nicht gegen sich selbst und gegen ihren Körper. Stattdessen erzählt sie, wie sie bereits nach drei Tagen Studium bei der Kursleiterin vorsprechen musste, die ihr nahelegte, das Studium doch abzubrechen und den Platz für jemand anderen freizugeben, da ja später sowieso kein Patient von ihr behandelt werden wolle. Ausserdem durfte sich Frau Webster noch anhören, dass es aber gut war, dass sie zur Ausbildung zugelassen wurde, weil sich damit gezeigt habe, dass etwas mit dem Zulassungssystem falsch sei. Frau Webster ist dem gutgemeinten Rat jedoch nicht gefolgt, sondern hat die Zähne zusammengebissen und weitergemacht, auch als noch andere Lehrer versucht haben, sie zum Aufgeben zu bewegen. Später als Ärztin wurde sie, wie erwartet, auch mit negativen Reaktionen von Patienten konfrontiert. Aber das ist, so erzählt sie, nicht mehr vorgekommen, seitdem sie sich ungefähr wie folgt vorstellt: „Guten Tag, ich heisse Victoria Webster und habe eine angeborene Behinderung. Ich hoffe, das stört nicht. Erzählen Sie mir doch bitte, warum Sie hier sind“

Und das i-Tüpfelchen der Geschichte: Im ganzen Artikel wird das Wort Lebensfreude nicht ein einziges Mal erwähnt!

Donnerstag, 14. Februar 2008

1. Kurze Vorstellung

Eigentlich heisse ich ja Petra, aber den Namen Ronja finde ich für meinen Blog einfach passender. Vor allem, da ich zur Zeit in Schweden lebe, der Heimat Astrid Lindgrens. Allerdings nicht in Småland, sondern in Stockholm. Wie es dazu kam? Nun, die Liebe zur Welt der Astrid-Lindgren-Bücher reichte dafür nicht ganz aus; aber die Liebe zu meinem Mann Lars, der hier Arbeit gefunden hat.

Zunächst ein paar Stichworte zu mir:

Spina bifida (= angeborene Querschnittlähmung) – Juristin – 36 Jahre alt – Aussonder(schul)erfahrung – deutscher Pass – Cerebralparese (= CP, Spastik) - dreisprachig (deutsch, englisch, schwedisch) ...


Was ich jetzt in Schweden mache? Das erste Jahr war ich hauptberuflich damit beschäftigt, Schwedisch zu lernen. Inzwischen studiere ich ein wenig Recht an der Uni, um zumindest einen groben Überblick über das schwedisches Rechtssystem zu bekommen. Was danach kommt, wird sich zeigen.

Und sonst? Zur Zeit singe ich leidenschaftlich gerne und laut Mariah Careys Lied „Hero“ mit, wenigstens einmal täglich. Ich treffe nicht immer den richtigen Ton und verpasse manchmal den Einsatz, aber das macht nichts. Es tut einfach gut, ab und zu die eigene Stimme zu hören. Hin und wieder verabrede ich mich auch per SMS mit meiner Herzensschwester Marly und wir singen gleichzeitig, jede an ihrem Ort. Das ist dann der Höhepunkt des Tages.

Ich habe in Zukunft vor, jeden 8. und 28. eines Monat einen Beitrag zu veröffentlichen, und manchmal auch am 18. Ich bitte jedoch, das nicht strikt wortwörtlich zu nehmen. Es kann durchaus vorkommen, dass es mal erst am 29. klappt oder schon am 7. Ein tieferer Sinn liegt der Wahl der Daten übrigens nicht zugrunde. Es soll einfach eine gewisse Regelmässigkeit garantieren.

In diesem Sinne: bis zum 28.