Dienstag, 1. April 2008

7. Über Pränataldiagnostik und Auch-Menschen

Manchmal glaube ich, ich bin einfach zu langsam für diese Welt. Ab und zu habe ich das Gefühl, dass alles an mir vorbei rauscht. Und sollte ich mich mal für das eine oder andere Thema interessieren, dann bin ich oft zu spät dran, habe irgendwie den Zug verpasst. Eine gute Gelegenheit ist vorbei und ich komme mir vor, als wollte ich die Reste von vorgestern nochmal aufwärmen.

Dieses Mal habe ich zu spät mitbekommen, dass am 21. März der Welt-Down-Syndrom-Tag war. Nun ja, der Tag wurde erst 2006 ins Leben gerufen, hatte also noch keine Zeit, sich fest in meinem Bewusstsein oder dem anderer Weltbürgerinnen und -bürger zu verankern. Und eigentlich bin ich ohnehin keine allzu begeisterte Anhängerin von solchen Gedenktagen. Aber ich habe vor einiger Zeit einen Artikel in einer schwedischen Tageszeitung gelesen, der wirklich gut gepasst hätte. Vielleicht sogar besser, als irgendwelche herzigen, „integrativ“ gestalteten Gedichtvorträge oder ähnliche Veranstaltungen, die bei solchen Anlässen gerne aufgeboten werden. Nebenbei gesagt wurde ich mal darauf hingewiesen, dass die korrekte Bezeichnung der Behinderung „Trisomie 21“ laute. Der Begriff Down-Syndrom solle tunlichst vermieden werden, da der Herr Langdon Down, nach dem die Behinderung benannt wurde, die Behinderung mit Worten wie „mongoloide Idiotie“ beschrieben hat. Zu seiner Zeit waren das zwar sehr gebräuchlichen Vokabeln, aber mit der entsprechenden Begriffswahl könnte man schon signalisieren, dass man dieses Zeitalter inzwischen hinter sich gelassen hat. Der Begriff „Trisomie 21“ ist halt mit 7 Silben ein wenig lang und nicht wirklich griffig.


Wie auch immer, bevor ich jetzt auf den nächsten Welt- Down-Syndrom-Tag (Welt-Trisomie21-Tag?) warte, schreibe ich lieber trotzdem über den besagten Artikel. Gedenktage bedeuten ja gerade nicht, dass man sich nur und ausschliesslich dann mit einem bestimmten Thema befassen darf.

Der Artikel handelt von Pränataldiagnostik, genauer gesagt von der Fragwürdigkeit spezieller Tests, mit denen Embryonen auf unerwünschte genetische Merkmale, wie zum Beispiel das Down Syndrom, untersucht werden. Anlass der Veröffentlichung war die Debatte um das flächendeckende Angebot eines Kombinationstests für alle schwangeren Frauen im Gebiet Stockholms, um die für das Down Syndrom charakteristische Chromosomveränderung leichter und umfassender entdecken zu können. Verfasser des am 28.11.2007 in Schwedisch im Svenska Dagbladet erschienenen Artikels ist Svante Linusson, Professor in Mathematik und stolzer Vater einer Tochter mit Down Syndrom. Der Autor stellt die scheinbare Selbstverständlichkeit solcher Tests massiv in Frage. Das beginnt bereits mit der Überschrift, die in etwa mit „Neofaschismus betreffend Down Syndrom“ übersetzt werden könnte. Deutliche Worte, über deren Angemessenheit man durchaus streiten kann. Gleich nach der Überschrift geht es weiter mit dem Satz „Eines der Steckenpferde der „Landstingsrätin“ (in etwa: Kantonsrätin) Birgitta Rydberg ist es, unerwünschte Menschen bereits im Embryonalstadium auszusortieren“. Anschliessend zieht der Verfasser eine Parallele zu der Massenabtreibung von Mädchen in China, wo ein anderes genetisches Merkmal unerwünscht ist und eine für uns nicht nachvollziehbare systematische Abtreibung der entsprechenden Kindern nach sich zieht.

Hauptkritikpunkt des Autors ist, dass zwar allen schwangeren Frauen ein Test zur Erkennung des Down Syndroms angeboten werden soll, dass aber kaum Informationen mitgeliefert werden, was das denn eigentlich bedeutet, ein Leben mit Down Syndrom. Deshalb erwähnt er ausdrücklich, dass es heutzutage Trainingsmöglichkeiten gibt und die meisten Leute mit Down Syndrom mit ein wenig Hilfe Arbeit und eine eigene Wohnung haben können. Etwas weiter im Text erinnert er dann an die dunkle Geschichte des Faschismus in Europa, wo unerwünschte Personen aussortiert wurden und stellt anschliessend die Frage, zu welcher Gesellschaft so etwas führen wird. In einem kleinen Seitenhieb auf zentrale Befürworter des Tests weist er darauf hin, dass eine Gesellschaft, die ausschliesslich aus Chefärzten und Landstingsräten bestünde, nicht besonders gut funktionieren würde.

Eher nebenbei wird im Artikel erwähnt, dass im Gebiet Stockholms jährlich ca. 20 Kinder mit Down Syndrom geboren werden. Mit Hilfe des neuen Tests soll die Anzahl derartiger Kinder halbiert werden. Die Kosten des Tests belaufen sich auf jährlich ca. 20 Mio. schwedische Kronen (ungefähr 3,3 Mio. Franken). Das bedeutet, dass man sich die Verhinderung jedes Kindes mit Down Syndrom 2 Mio. Kronen (ca. 333.000 Franken) kosten lässt. Das veranlasst den Autor zu der Frage, ob es wirklich nichts Sinnvolleres gibt, was man mit dem Geld anfangen könnte.

Abschliessend berichtet Professor Linusson kurz, dass Psychologen bei seiner 12 Monate alten Tochter Ylva einen Entwicklungsrückstand von ca. drei Monaten festgestellt haben, und endet mit dem Satz „Aber auch ein neunmonatiges Baby ist doch einfach etwas Wundervolles!“


Der Ethikrat hat übrigens, was nicht im obigen Artikel erwähnt wurde, die Einführung des Tests als problematisch beurteilt. Zentral war hierfür die Überlegung, wie sich ein solcher allgemeiner Test auf das Leben derjenigen Menschen auswirkt, die mit Down Syndrom leben. Ein spezieller Test, der genau ein solches Leben wie das ihre verhindern soll. Auf diese Art wird den betroffenen Männern und Frauen deutlich vermittelt, dass ihr Leben vom Rest der Gesellschaft unerwünscht ist und als minderwertig angesehen wird.


Der Artikel von Svante Linusson ist zwar stellenweise etwas aggressiv geschrieben, aber ich empfinde ihn als äusserst wohltuend. Vor allem, weil er nicht auf der defensive Rechtfertigungsschiene ala „Behinderte sind auch Menschen, die ein Recht auf Leben haben“ fährt. Bei dieser ach so wohlgemeinten Argumentation kommt mir nämlich schlicht das Grausen. Warum?

1. Ich bin kein Auch-Mensch sondern eine Frau.

2. Wandeln wir den Satz einfach mal ein wenig ab und stellen uns eine Frau vor, die sagt: „Männer sind auch Menschen, die ein Recht auf Leben haben“. Klingt irgendwie nicht gut, überhaupt nicht gut. Es erweckt den Eindruck einer männerhassenden Radikalfeministin. Warum, bitte schön, hat der Satz einen so unterschiedlichen Klang, je nachdem auf welche Personen er angewendet wird?? Ja, ich weiss, es hat mit Hierarchie und Machtstrukturen zu tun. Aber warum in alles um der Welt wird diese Argumentationslinie so gerne von (scheinbaren?) Behindertenverbündeten benutzt??

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