Montag, 5. September 2011

45. Freiheit auf drei Rädern

Ich liebe mein Dreirad!

Nein, nein, ich breche meine Magische-Momente-Serie nicht vorzeitig ab. Ich hab durchaus vor, nach und nach über einige besondere Begegnungen zu schreiben. Ich mag die Geschichten nur nicht einfach aneinanderreihen.

Aber ich will nicht abschweifen, zurück zu meinem Dreirad: Ich schaffe es nach wie vor, vielleicht 2-3 km am Stück zu fahren und dann brauch ich wirklich ne Pause. Das klingt für die meisten Menschen nicht besonderes beeindruckend, aber für mich bedeutet das Freiheit! Ich komme jetzt in Gegenden, zu denen ich vorher keinen Zugang hatte, weil es zu weit zum Gehen war und es keine öffentlichen Verkehrsmittel gab, die dorthin fuhren. Ich hab mich diesen Sommer sogar getraut, die ersten kürzeren Touren allein zu unternehmen. Es ist so schön zur Abwechslung mal etwas schneller voranzukommen oder es mit letzter Kraft gerade noch zu schaffen, eine Steigung hochzufahren oder einfach nur den Fahrtwind zu spüren, wenn ich irgendwo eine Steigung runtersausse!

Ausserdem tut es mir gut, mich etwas mehr zu bewegen. Für mich ist Radfahren ein wunderbares Mittel, um Stress abzubauen bzw. zu vermeiden. Es gibt ja die drei klassischen Reaktionen, mit denen man instinktiv auf Stress oder Bedrohung reagiert:
1. Verstecken/Erstarren und keine Reaktion zeigen, wie das Kanninchen vor der Schlange.
2. Wegrennen oder
3. die Flucht nach vorne antreten und sich den Weg freikämpfen, was im Alltag bedeutet, gereizt und aggressiv zu reagieren.

Natürlich hab ich nicht die Möglichkeit, mich jedes Mal, wenn mich etwas stresst, auf mein Fahrrad zu schwingen und mich abzureagieren. Meistens ist das auch gar nicht nötig. Es hilft oft schon, wenn ich auf die Signale achte: Wenn ich gestresst bin, fühle ich mich manchmal schon von Kleinigkeiten völlig überfordert und kann mich zum Beispiel absolut nicht für irgendetwas entscheiden. Dann weiss ich, dass ich ne Pause brauch: Kurz hinsetzen, tief durchatmen, vielleicht ne Tassen Tee trinken, und dann geht es weiter. Dasselbe gilt, wenn ich merke, dass mich alles nur noch nervt, ohne dass es dafür einen richtigen Grund gibt. Seit ich öfter mit meinem Fahrrad unterwegs bin, merke ich, dass ich viel ausgeglichener und ausserdem unternehmungslustiger bin. Die Bewegung draussen in der Natur tut einfach gut.

Mir ist übrigens aufgefallen, dass ich ziemlich viel Werbung für Dreiräder mache. Zum einen natürlich dadurch, dass ich durch die Gegend fahre und damit sichtbar bin. Aber auch durch Gespräche mit anderen Menschen. Erst kürzlich hab ich mich im Fahrradkeller mit einer Nachbarin über mein Dreirad unterhalten. Sie überlegt, ob sie sich auch eines anschaffen soll, weil es ihr immer schwerer fällt, auf einem gewöhnlichen Fahrrad die Balance zu halten. Ich glaub, die Hemmschwelle sich als Erwachsene auf ein Dreirad zu setzen, ist sehr gross. Zumindest hat es bei mir ziemlich lange gedauert, bis ich mich dazu durchringen konnte. Es ist einfacher, den Schritt zu wagen, wenn man nicht die Erste ist. Wenn es auch noch andere gibt, die mit Dreirad unterwegs sind, dann kriegt das ein gewisses Mass an Normalität. Ich hab meiner Nachbarin jedenfalls empfohlen, bei meinen freundlichen Fahrradhändler vorbeizuschauen. Zuvor hatte ich ihr angeboten, auf meinem Dreirad eine Probefahrt zu machen, was sie jedoch nach kurzem Zögern abgelehnt hat. Ich fände es toll, wenn irgendwann noch ein Dreirad in unserem Fahrradkeller stehen würde!
Ein Bekannter von mir hat sich erst kürzlich auch wieder ein Dreirad gekauft, nachdem ich ihm von meinem vorgeschwärmt hatte. Er hatte vor Jahren mal eines, als es noch als Hilfsmittel vom "Landsting" (das entspricht so ungefähr einem Kanton oder Bundesland) finanziert wurde.Aber als er in einen anderen Landsting umgezogen ist, musste er es zurückgeben. Inzwischen gelten Dreiräder nicht mehr als Hilfsmittel, das heisst, man muss sie selber bezahlen. In meinem Beitrag 28 habe ich ein wenig mehr dazu geschrieben. Es gibt leider es auch in Schweden einiges, was sich am Gesundheitssystem verbessern liesse.

Hier kommt noch ein Foto von mir auf meinem Dreirad:


Donnerstag, 1. September 2011

44. Magische Momente I

Hin und wieder geschieht es, dass ich ganz besondere Momente erlebe. Momente, die erfreulich angenehm sind und bei denen es mir dennoch schwer fällt, das Erlebte in Worte zu fassen. Ich habe vor, hier in meinem Blog einige solcher „Magischen Momente“ zu sammeln.

Die erste Begegnung, die mir zu diesem Titel einfällt, war während der Urlaubsreise, die ich zusammen mit meinem Mann vor ein paar Wochen gemacht hab:

Es gab einen Tag, an dem irgendwie nichts so funktionierte, wie wir uns das vorgestellt hatten. Zum Abschluss des Tages sind wir dann in dem kleinen Ort Junsele gelandet. Wir waren ziemlich gefrustet und unzufrieden und wussten nicht so recht, was wir mit dem restlichen Abend und mit uns selber anfangen sollten. Zuerst sassen wir etwas verloren in unserem Zimmer und haben gelesen. Manchmal beruhigt Lesen, aber dieses Mal nicht. Also haben wir uns nach draussen geschleppt und unter einen hübschen Baum gesetzt und das war schon etwas besser. An der frischen Luft zu sein tat gut, aber glücklich und zufrieden wurden wir dadurch nicht. Schliesslich haben wir uns dazu entschlossen, ein bisschen spazieren zu gehen und den Ort zu erkunden. Dabei haben wir einige nette Geschäfte entdeckt, in denen wir gerne gestöbert hätten, die aber alle geschlossen waren. Die Dorfkneipe, in denen nur Jugendliche sassen und Bier getrunken haben, sprach uns auch nicht an. Schliesslich haben wir einen kleinen Imbiss entdeckt, der Hamburger und Pommes verkauft hat und auch für Eis Reklame machte. Es sah weder einladend noch besonders gemütlich aus, und die beiden jungen nicht-schwedischen Männer sahen ungefähr genauso gefrustet aus, wie wir uns fühlten. Die eigene Laune wird selten besser, wenn man auf andere Menschen trifft, die ähnlich schlecht drauf sind. Man zieht sich in solchen Fällen meistens nur gegenseitig runter. Aber der Gedanke ein Eis zu essen, hatte unsere Stimmung deutlich verbessert und jetzt hatten wir zumindest ein Ziel: Jetzt waren wir auf der Suche nach einem Eiscafe. So etwas gab es im Ort aber leider nicht, und nach einer Weile wurde uns bewusst, dass der Imbiss vermutlich bald schliessen wird, was zur Folge hätte, dass wir am Ende ohne Eis dastehen würden. Wir wollten unseren kleinen Lichtblick nicht einfach so aufgeben und entschlossen uns deshalb, zum Imbiss zurückzugehen und uns eben in einer etwas ungemütlichen Atmosphäre ein Eis zum Mitnehmen zu kaufen. Die beiden jungen Männer waren überrascht, kurz vor Ladenschluss noch Kunden zu kriegen. Sie schienen irgendwie nicht mehr damit gerechnet zu haben. Einer der beiden, der Koch, hätte uns auch gern einen Hamburger gebraten. Aber mit unserem Wunsch nach Eis waren die beiden sichtbar überfordert. Eisverkaufen war eigentlich die Aufgabe des Chefs und der war gerade nicht da. Sie kamen richtig in Stress und wussten zuerst weder, wo die Waffeln waren noch was das Eis kosten sollte. Letzten Endes haben sie dann aber doch die Waffeln gefunden, uns etwas unbeholfen eine Portion der gewünschte Eissorte darauf gepackt und einen viel zu niedrigen Preis dafür verlangt. Wir wollten ihre Gutmütigkeit und Unerfahrenheit nicht ausnutzen und haben das Doppelte bezahlt, was eher dem Preis entsprach, den man hier in Schweden gewöhnlich für ein Eis bezahlt. Das hat die beiden Herren etwas überrascht, sie haben es aber angenommen. Wir haben dann noch ein bisschen geplaudert und erfahren, dass die beiden Türken waren. Einer von ihnen sprach richtig gut Deutsch, aber kaum Schwedisch. Zum Abschied hab ich ihnen noch auf Türkisch einen schönen Abend gewünscht und beim Rausgehen ist mir aufgefallen, dass sich unsere Situation völlig verändert hatte. Plötzlich hatten wir alle vier richtig gute Laune und die Welt war wieder in Ordnung.

Seitdem frag ich mich, was es war, das diese abrupte Veränderung verursacht hat. Es kann natürlich sein, dass es eigentlich ganz einfach ist und es ausreicht, wenn man auf freundliche Menschen trifft, die allen Widrigkeiten zum Trotz nicht ihren Frust auf einen abladen. Gestern habe ich eine Erklärung gefunden, die mir besser gefällt: Ich musste an zen-buddhistische Mönche denken, die ihre tägliche Nahrung als Almosen von ihren Mitmenschen bekommen: Einer der Gedanken, der hinter diesem Versorgungssystem steckt, ist ungefähr folgender: Beide Seiten haben ihre Bedürfnisse, sowohl die Person, die etwas entgegennimmt als auch diejenige, die etwas gibt. Durch die freiwillige Gabe werden diese beiden Bedürfnisse miteinander verbunden und am Ende bekommt jeder das, was er gerade braucht. Damit wiederum wird ein Gleichgewicht geschaffen, das sich positiv auf alle Beteiligten und auch auf ihre Umgebung auswirkt. In unserem Fall haben wir zweimal etwas ausgetauscht und dabei auch noch die Rollen getauscht: Zuerst haben mein Mann und ich unser Eis bekommen, obwohl die beiden Verkäufer sich ja auch hätten weigern können, und dann haben wir etwas gegeben, nämlich einen höheren Preis als den geforderten für das Eis bezahlt.

Jaa, ich geb zu, es klingt ein wenig esoterisch. Und ich bin mir durchaus bewusst, dass Bettelnmüssen und Almosenverteilen äusserst problematisch sein kann und häufig auf ein deutliches Machtmissverhältnis hinweist. Aber das bedeutet nicht, dass gegenseitiges Geben und Nehmen grundsätzlich schlecht ist. Für mich ist hier die Freiwilligkeit von zentraler Bedeutung. Und Freiwilligkeit setzt voraus, dass beide Seiten eine echte Wahlmöglichkeit haben und anders handeln können, wenn sie das möchten.

Montag, 22. August 2011

43. Zwischen Hoffnung und Verzweiflung

Ich hab gerade wieder an meine Reise in diesem Sommar gedacht. Ich hab im letzten Beitrag ein wenig davon berichtet. Es war schon ein sehr besonderes Erlebnis. Kurz nachdem wir wieder zu Hause waren, war das Bombenattentat in Oslo und die vielen Morde an den Jugendlichen auf der Insel Utøya. Der Gedanke daran ist für mich nach wie vor kaum auszuhalten: Dass ein einzelner Mensch seinen Mitmenschen so viel Schmerzen zufügen kann. Ich hab lange darüber nachgedacht, ob ich etwas dazu schreiben soll. Irgendwie ist unsere Reise mit den furchtbaren Ereignissen verbunden und ich kann nicht so tun, als ob das nicht so wäre. Auf der anderen Seite ist schon so viel darüber geschrieben worden und ich glaube nicht, dass ich mit tieferen Einsichten beitragen kann.

Manchmal bin ich am Verzweifeln und mag die Zeitung gar nicht aufschlagen. So viel Hass und Gewalt und Elend überall, wo auch immer man hinschaut. Und es gibt so wenig, was man dagegen tun kann. In solchen Momenten gehe ich oft raus auf meinen Balkon und suche Antworten in den Wolken. Ich weiss, dass sehr viel möglich ist, wenn jeder ein bisschen etwas dazu beiträgt, um diese Welt zu einem besseren Platz für alle Menschen zu machen. Ich weiss, dass Liebe und Solidarität die Antwort auf sehr viele Fragen ist. Und ich weigere mich einfach, die Hoffnung aufzugeben.




Donnerstag, 4. August 2011

42. Pilgerfahrt

Ich bin wieder zurück, eigentlich schon seit guten zwei Wochen. Mein Mann und ich sind mit einem Mietwagen gen Norden gefahren. Unsere Reise wurde, ohne dass wir das geplant hatten, zu einer Pilgerfahrt. Zumindest für mich. Bis vor unserem Urlaub wusste ich nicht, dass es auch in Schweden Pilgerwege gibt. Ich hatte nur von den klassischen Pilgerzielen, wie Santiago de Compostela, Rom und Jerusalem gehört. Schön, dass man täglich neue Dinge entdecken kann, wenn man das möchte. Die meisten schwedischen Wege haben den Nidarosdom in Trondheim (Norwegen) zum Ziel.

Ja, ich weiss, normalerweise ist man bei einer Pilgerfahrt wochen- oder monatelang zu Fuss unterwegs. Das geht bei mir halt nicht, auch wenn ich manchmal denke, dass ich es gern tun würde. Aber wer sagt denn, dass man Dinge immer nur nach vorgegebenem Schema erledigen darf? Eines der Ziele einer Pilgrimsreise ist es, zu sich selbst zu finden. Das geht auch mit Auto. Es ist sehr empfehlenswert, für eine innere Reise einen erprobten Weg zu beschreiten, aber nur der Masse nachzurennen, bringt nichts. Individualität im schützenden Rahmen der Tradition. Der eigene Weg ist immer höchst individuell, und doch nicht so besonders, wie es sich manchmal anfühlen kann. Während unserer Reise musste ich übrigens oft an Paulo Coelhos Buch "Auf dem Jakobsweg" denken. Wer schon mal was von Paulo Coelho gelesen hat, dem werden wohl einige Ideen und Gedanken, über die ich hier schreibe, bekannt vorkommen.

Die Reise war für mich eine Herausforderung, bei der ich immer wieder an meine Grenzen stiess und diese dann doch nicht erreicht habe. Es ging zum Beispiel durch kilometerlange Tunnels und dabei ist bzw. war es mir immer sehr unwohl. Der erste Tunnel, durch den ich selbst gefahren bin, hat meine gesamte Selbstbeherrschung gefordert. Ich weiss nicht, wie lang er war - es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Ich hab mich am Steuer festgeklammert und mich darauf konzentriert, dass wir bald wieder draussen sind. Mein Fenster war auf und ich hätte es gerne zu gemacht, um nicht die ganzen Abgase einzuatmen, aber es ging nicht. Ich war an der Grenze meiner Belastbarkeit und es war für mich unmöglich, eine Hand vom Steuer zu nehmen.Welche Erleichterung, als wir endlich draussen waren! Und welche Verwunderung, dass ich das tatsächlich geschafft hatte. Mit jedem weiteren Tunnel ging es leichter und ein paar Tunnels später konnte ich mich sogar an den hübschen Sternchen, die manchmal zur Dekoration oder Ablenkung am Beton angebracht waren, erfreuen.

Dass ich mich auf einer Pilgerreise befinde, ist mir erst richtig bewusst geworden, als wir in der Pilgerkirche in Sånga (in der Nähe von Sollefteå) waren, die wir "zufällig" entdeckt hatten. Ein wenig verblüfft mich das, denn ich wäre beinahe an der Kirche vorbeigefahren ohne anzuhalten. Ich glaub ja nicht an den Zufall, sondern daran, dass Gott auf manchmal unerklärliche Weise unsere Wege lenkt. Ich bin gerade dabei zu lernen, mich mehr darauf einzulassen, und gleichzeitig zu beachten, dass ich selbst für meine Entscheidungen und für mein Handeln verantwortlich bin. Das ist nicht immer einfach - ich hätte ja auch einfach ohne an der Kirche anzuhalten, weiterfahren können. Mein Mann und ich schauen uns gern Kirchen an, wenn wir unterwegs sind. Das ist immer ein guter Platz, um eine Pause zu machen. Viel ruhiger und erholsamer als irgendwelche ausgewiesene Rastplätze. Und in Schweden kriegt man dort häufig eine Tasse Kaffee oder Tee, vielleicht ein paar Kekse und eine Toilette, die man benutzen darf, gibt es meisten auch. Ein hübsches Plätzchen an einem ruhigen See oder einem wilden Fluss ist natürlich auch toll.

Nachdem mir bewusst wurde, dass ich mich auf einer Pilgerreise befand, war es geradezu ein Muss, bis zum Nidarosdom in Trondheim zu fahren. Damit hatte unsere Pilgerfahrt ein Ziel. In Trondheim haben wir an einem Pilgergottesdienst im Nidarosdom teilgenommen, der von Ole Christian Kvarme, dem Bischof von Oslo, gehalten wurde. Das wäre ein passender Abschluss unserer Pilgerfahrt gewesen, aber irgendwie war es damit noch nicht vorbei. Die Reise ging erst noch weiter zu einer Bergstrasse ("Trollstigen"), die an einem Fjord entlang führt. Wunderschön! Mein Mann hat mich vorsichtig gefragt, ob ich die Strecke fahren könnte, damit er Fotos machen kann. Was hat es mir davor gegraust! Ich hab Höhenangst. Ich hab vor ziemlich vielem Angst, wenn ich so darüber nachdenke. Erstaunlicherweise hab ich sehr viel mehr Angst, wenn es nach oben geht. Runterfahren ist meistens viel einfacher. Ich war mir absolut nicht sicher, ob ich es schaffen würde, mit einem fremden Auto auf schmalen kurvigen Strassen knapp am Abgrund entlangzufahren. Es hat mich ein wenig beruhigt, als ich gesehen hab, dass viele Leute dort sogar mit Wohnmobil unterwegs waren. Das hat meinen Ehrgeiz herausgefordert und ich dachte oft, wenn andere hier mit Wohnmobil fahren können, dann schaffe ich das auch mit nem normalen Auto. Ich bin sehr vorsichtig gefahren und es ging nicht schnell - wir wollten die Strecke ja ohnehin geniessen. Nach und nach hat es sogar mit dem Geniessen der Strecke funktioniert. Die Umgebung war einfach zu schön, als dass ich sie hätte ignorieren können. Es war eine gute Übung, um zu lernen, mich auf den Weg zu konzentrieren und mich gleichzeitig an der Schönheit um mich herum zu erfreuen. Erst nachdem ich diese Fahrt hinter mir hatte, hatte ich wirklich das Gefühl, dass meine Pilgerfahrt zu Ende war. Das wollte ich gerne mit einem Ritual abschliessen. Dazu hat sich die Stabkirche in Lom angeboten, die wir am nächsten Tag besichtigt haben. Später habe ich dann in Gedanken an dem Pilgergottesdienst, der zur selben Zeit wie am Vortag mit demselben Bischof im Nidarosdom gefeiert wurde, teilgenommen. Erst damit war meine Pilgerreise wirklich beendet. Naja, beendet stimmt wohl nicht so ganz, denn eine Pilgerreise ist eigentlich erst der Anfang. Fortsetzung folgt.

Und hier noch ein paar Bilder:

Die Pilgerkirche in Sånga


Der Nidarosdom in Trondheim


Die Bergstrasse "Trollstigen"

Samstag, 2. Juli 2011

41. Chaos und Fortschritte

Manchmal habe ich das Gefühl, ich geh im Chaos unter. Es gibt ein paar Tricks, um dem ganzen etwas entgegenzuwirken:
Das Prinzip der kleinen Schritte funktioniert für mich wunderbar: Ich nehm mir für jeden Tag eine Kleinigkeit vor, die sich leicht und relativ problemlos erledigen lässt und vielleicht 15 Minuten dauert: Eine Ecke in der Wohnung aufräumen oder einen Stapel Papiere sortieren. Mit etwas Disziplin wird es damit jeden Tag ein bisschen besser und man überfordert sich nicht. Das hat zur Folge, dass man länger durchhält und nicht gleich wieder die Lust verliert, sobald man ein bisschen mehr Ordnung geschaffen hat.
Die 10 Sekunden-Regel hilft auch: Alles, was weniger als 10 Sekunden dauert, wird sofort erledigt, d.h. die Schlüssel kommen gleich an ihren Platz und werden nicht irgendwo hingeworfen, Bücher werden, wenn ich sie ausgelesen habe, wieder zurück ins Regal gestellt....

Und nachdem meine Wohnung oft ein Spiegelbild meiner Stimmung ist, hoffe ich, dass sich ein geordneteres Umfeld auch positiv auf mein Innenleben auswirkt. Dazu noch beten und meditieren, dann wird das schon.

Ach ja, im Moment ist alles nicht so einfach. Vielleicht mache ich es mir auch nur selber unnötig schwer. Da dachte ich doch, ich sei mit meiner Entscheidung, Pastorin zu werden, bereits auf der Zielgeraden. Welch ein Irrtum. So langsam wird mir bewusst, dass das erst der Anfang war und keineswegs das Ende. Jetzt geht es erst richtig los. Ich bin davon überzeugt, dass jeder Mensch eine besondere Gabe für diese Welt besitzt, um sie ein klein wenig besser zu machen. Das macht jeden Menschen so wertvoll und einmalig. Irgendwann werde auch ich meine Gabe finden und sie der Welt feierlich überreichen.

Freitag, 10. Juni 2011

40. Gute Vorsätze und neue Erkenntnisse

Ich nehm mir immer mal wieder vor, eine Kleinigkeit in meinem Leben zu ändern. Ich hab nämlich herausgefunden, dass der Weg der kleinen Schritte ganz hervorragend für mich funktioniert. Manchmal gelingt es mir, mir etwas Neues anzugewöhnen und manchmal verlaufen sich meine guten Vorsätze nach kurzer Zeit im Sande. Hin und wieder ist natürlich auch ein grösserer Schritt dabei, wie zum Beispiel mein Umzug nach Schweden.

Meine neueste Erkenntnis ist, dass wir viel zu selten positive Dinge zueinander sagen. Lob gibt es häufig nur dann, wenn man wirklich ordentlich was geleistet hat. Dagegen sind wir ziemlich schnell zur Stelle, wenn es darum geht zu sagen, was uns nicht passt. Ja, ich weiss, es ist nicht gut, immer alles zu schlucken. Selbstverständlich ist negative Kritik manchmal durchaus angebracht und bisweilen sogar dringend notwendig. Das bezweifle ich gar nicht. Was mich stört ist allzu ausgeprägte Einseitigkeit.

Mir passiert es erstaunlich oft, dass ich mich spontan an nette Begebenheiten erinnere. Ist eine bestimmte Person dafür verantwortlich, dann erzähl ich ihr inzwischen bei der nächstbesten Gelegenheit, dass ich erst kürzlich an sie denken musste, weil mir etwas, was sie mal gesagt hat, Freude bereitet oder geholfen hat. Gerade heute hab ich mich mal wieder bei einer Klassenkameradin für so etwas bedankt. Und da fiel mir auf, wie viele positive Nebeneffekte meine neue Angewohnheit hat: Alle freuen sich über freundliche Worte, meine Klassenkameradin war da keine Ausnahme. Ausserdem hat es zur Folge, dass ich selbst meine Aufmerksamkeit mehr auf das richte, was konstruktiv ist und mich weiterbringt. Gleichzeitig macht es mir und anderen bewusst, dass es nicht völlig gleichgültig ist, was man tagtäglich von sich gibt, sondern dass alles irgendwo landet und Konsequenzen hat. Und vielleicht das Wichtigste: Man erlebt für einen kurzen Augenblick ein Gefühl der Gemeinschaft, indem man etwas Schönes mit einem anderen Menschen teilt.

Mittwoch, 8. Juni 2011

39. Sommer!

Auch in Stockholm ist inzwischen der Sommer eingekehrt und seit Wochen blüht es überall. Es ist wunderschön. Im Moment überwiegen Rottöne: rote Kastanien, Heckenrosen und ein Baum mit roten Blüten, den ich nicht identifizieren kann. Die Farbenpracht tut gut nach den langen grauen Wintermonaten. Allerdings mag mein Kreislauf allzu viel Hitze nicht so gern und wenn man eine Karte über Stockholm anschaut, dann sieht man, dass die Stadt eigentlich aus einer Ansammlung von Inseln besteht. Das bedeutet, es hat eine relativ hohe Luftfeuchtigkeit. Schwüles Wetter mag mein Kreislauf noch weniger. Ich hab schon überlegt, meinen Tagesrhythmus umzustellen: Früher aufstehen, wenn es noch relativ kühl ist, und all das erledigen, was ich mir für den Tag vorgenommen hab und über die Mittagszeit irgendwo mit nem Eis im Schatten dösen. Nachdem wir bald Sommerferien haben, gibt es zumindest keine äusseren Zwänge, die das verhindern würden. Nur meine eigenen Gewohnheiten könnten mir hier im Wege stehen. Ich schlaf morgens gerne lange, wenn ich kann. Aber wenn es bereits um 6 Uhr glockenheller Tag ist, fällt das Aufstehen gar nicht so schwer.

Dienstag, 22. März 2011

38. Erfreuliche Begegnungen

Auch in Stockholm wird es langsam Frühling! Es taut und fast alle Schnee- und Eisplatten haben sich inzwischen in Pfützen verwandelt. Eigentlich wollte ich das letzte Woche schon berichten, aber dann hat es wieder ordentlich geschneit und alles war weiss. Erstaunlicherweise konnte ich mich darüber freuen, obwohl ich mich wirklich nach dem Frühling sehne. Es war ein hübscher Winterabschiedsgruss.

Heute war ich übrigens zum ersten Mal allein mit meinem Dreirad unterwegs. Der Grund, weshalb ich bisher nur in Begleitung Fahrrad gefahren bin, ist einfach: Mir fehlt noch die Übung. Ab und zu bleib ich an einem Berg hängen. Wenn er zu steil ist, dann schaffe ich es nicht bis ganz nach oben und in dieser Situation abzusteigen, während mein 30 kg schweres Dreirad langsam rückwärts rollt, ist ne Herausforderung. Ja, ich hab ne Feststellbremse, aber die ist nicht stark genug. Und mein Dreirad dann den Rest des Berges hochzuzerren, ist auch nicht so einfach. Aber ich werd schon noch ne Lösung dafür finden. Die Strecke heute war jedenfalls einigermassen eben und unterwegs hat mich eine freundliche alte Frau angestrahlt, als sie mich auf meinem Dreirad gesehen hat. Ich hab zurückgelacht und mich gefreut. Es sind oft die kleinen, scheinbar unbedeutenden Situationen, die so wichtig sind und dem Leben Farbe geben!

Ein paar Stunden zuvor hab ich eine andere nette alte Frau getroffen. Wir sind beide in derselben Kirche Mitglied und wir waren beide etwas überrascht über unser unvermutetes Treffen. Es ist selten, dass man sich in einer Grosstadt einfach so über den Weg läuft, auch wenn unser Stadtteil eigentlich recht überschaubar ist. Sie hat mich gefragt, wo ich wohne und ich war ein wenig verblüfft, denn wir sind beinahe Nachbarn und haben das auch schon bei früheren Begegnungen festgestellt. Einmal sind wir sogar ein Stück gemeinsam gegangen, als wir beide auf dem nach Hauseweg waren. Es passiert häufig, dass man Dinge vergisst, die einem nicht so wichtig sind. Natürlich hätte ich mich gefreut, wenn sie sich auch daran erinnert hätte, aber wenn ich ehrlich bin, dann war unser gemeinsamer kurzer Spaziergang wirklich nichts Weltbewegendes. Hätte ich es trotzdem erwähnen sollen? - Ok, ich geb's zu, es ist durchaus möglich, dass ich mir manchmal vielleicht zu viele Gedanken mache. Auf der anderen Seite finde ich es wichtig, sich selber zu hinterfragen. - Hätte ich es erwähnt, dann hätte ihr gleichzeitig (zumindest indirekt) vorgeworfen, dass sie unsere frühere Begegnung vergessen hat und das hätte vermutlich nichts Positives/Konstruktives zur aktuellen Situation beigetragen. So war es einfach nur ein nettes zufälliges Treffen.

Dienstag, 1. März 2011

37. Ein neuer Lebensweg

Hab ich eigentlich schon erzählt, dass ich inzwischen "hauptberuflich" Theologie studiere? Zumindest mein Theologiestudium hab ich mal erwähnt (im meinem Beitrag 27 ). Und nicht nur das. Ich habe mich dazu entschieden, Pfarrerin zu werden. Manchmal kann ich es selbst kaum fassen. Wie mir das passieren konnte? Es ging ziemlich schnell und war sehr unspektakulär: Ich bin seit einiger Zeit in einer Kirchengemeinde bei uns um die Ecke aktiv und hab mich hin und wieder mit unserem damaligen Pfarrer unterhalten. Während eines unserer Gespräche (es ging um Solidarität) hat er gesagt, dass ich wirklich Theologie studieren sollte. Selber wäre ich echt nicht auf die Idee gekommen und trotzdem war für mich klar: Er hat Recht. Genau das sollte ich tun. Ich hab mich erst nicht getraut, einfach alles hinzuschmeissen und mich mit Feuereifer in meine neue Laufbahn zu stürzen. Ich war "vernünftig" und hab mich letztes Jahr erst mal für ein paar Kurse an der Theologische Hochschule eingeschrieben, um zu testen, ob das wirklich was für mich ist. Inzwischen bin ich mir sicher! Endlich weiss ich, was ich mit meinem Leben anfangen möchte!

Freitag, 18. Februar 2011

36. Das Leberblümchen und die gute Laune

Das Leberblümchen (auf schwedisch: blåsippa) ist die Lieblingsblume meiner Schwiegermutter. Eine wirklich weltbewegende Information, ich weiss. Aber wartet nur ab, wenn mein Blog irgendwann einmal Kultstatus erreicht hat, dann ist das bestimmt die 100.000 Euro-Frage in einem Fernsehquiz. Bis dahin gibt es allerdings noch viel zu tun. Ich habe mir für dieses Jahr das Ziel gesetzt, die Anzahl meiner offiziellen Leserinnen und Leser mindestens zu verdoppeln! Um das Ziel zu erreichen, habe ich mir vorgenommen, wieder zu meinem ursprünglichen Plan zurückzukehren und jeweils so um den 8., den 18. und den 28. einen Beitrag zu veröffentlichen. Ausserdem werde ich mehr Bilder in meinen Blog einbauen. Mein Mann fotografiert leidenschaftlich gerne und ich hab ungefähr 20.000 Bilder zur Auswahl. Ironischerweise stammt das erste Bild, das vom 35. Beitrag, nicht von meinem Mann sondern von einem rumänischen Bekannten.

Aber zurück zum Leberblümchen: Es ist eine typische Frühlingsblume und es ist jedes Jahr so wunderschön, sie endlich zu sehen. Nein, der Frühling ist hier noch nicht ausgebrochen. Es liegt nach wie vor eine dicke Schicht aus Eis und Schnee auf den Strassen und vor allem auf den Gehwegen. Aber ich musste neulich an einen wunderschönen Nachmittag denken: Ich sass auf einem Baumstamm in der Sonne und war von blühenden Leberblümchen umgeben. In all seiner Einfachheit war es wunderschön. Da auf dem Baumstamm ist mir wieder einmal bewusst geworden, wie wichtig es ist, auf solche Dinge zu achten und sich die Zeit zu nehmen, sich an ihnen zu erfreuen.

Im Kontrast dazu gibt es Menschen, die mit ihrem Leben chronisch unzufrieden sind. Damit meine ich nicht Leute, die eine schwere Zeit durchmachen, sondern solche, für die das Leben ständig nur aus Pflichterfüllung und harter Arbeit zu bestehen scheint - alles ist nur bitterer Ernst und anstrengend und ist gibt selten was zu lachen. Irgendwie schaffen es solche Menschen, diese Unzufriedenheit und schlechte Laune überall um sich herum zu verbreiten. Ich tu mir schwer mit einer solchen Lebenseinstellung. Neulich hätte mir der Kontakt mit einer chronisch unzufriedenen Person beinahe den Rest des Tages versaut. Mein Tag war bis dahin ohnehin nicht so toll und in einer solchen Situation ist man anfälliger für negative Einflüsse. Zum Glück fiel mir in diesem Augenblick plötzlich das Leberblümchen und der oben erwähnte Nachmittag ein. Das war genau das, was ich gebraucht habe und hat mir den Tag gerettet.

Und hier ist es, das Leberblümchen.
Möge es auch weiterhin gute Laune verbreiten.

Montag, 7. Februar 2011

35. Neue Erfahrungen

Seit gestern bin ich wieder um eine Erfahrung reicher: Ich war zum ersten Mal bei Eis und Schnee mit meinem Dreirad unterwegs! Nunja, soo dramatisch war es nicht. Es war halt kalt, obwohl die Sonne geschienen hat. Mein Mann und ich haben Freunde besucht, die um die Ecke wohnen. Mit dem Fahrrad war es am einfachsten zu ihnen zu kommen. Hätten wir die U-Bahn genommen, dann hätte ich zum Schluss noch ziemlich weit gehen müssen. Und spazierengehen macht im Moment keinen Spass! Hier in Stockholm liegt immer noch Schnee. Der taut tagsüber und das Schmelzwasser friert dann am Abend wieder fest: Das bedeutet, dass es stellenweise spiegelglatt ist. Erstaunlicherweise bin ich diesen Winter übrigens erst viermal hingefallen. Zweimal hätte ich wohl vermeiden können. Zwei Stürze waren der Preis, den ich dafür bezahlt habe, dass ich mir unbedingt eine Kirche, die auf einem Berg lag, anschauen wollte. Der Weg dorthin war ziemlich verschneit und schlecht geräumt (siehe Foto). Eigentlich ist es erstaunlich, dass ich es überhaupt bis nach oben geschafft hab. Allein wäre es nicht möglich gewesen, aber mit der Hilfe von ein paar netten Menschen ging es irgendwie. Es tut gut, wenn man hin und wieder mal was Neues ausprobiert und sich auch mal traut, Berge zu erklimmen.


Hier befinden wir uns gerade beim Aufstieg.